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„Alles Gute zum Geburtstag… Wie gut, dass es dich gibt, wie gut, dass wir Genossinnen geworden sind, schöne Frau“.

Heute, am 1. September, dem Antikriegstag, ist Ivana Hoffmanns Geburtstag. Ivana verbrachte während ihrer Ausbildung zur Guerilla in Kurdistan einige Zeit an der Seite der MLKP-Kommandantin Yeliz Erbay (Kampfname: Berçem Renas) Berçem hatte eine starke Bindung zu ihren Genossinnen und schrieb am Ivanas erstem Geburtstag nach ihrer Unsterblichkeit im Jahr 2015 ein Brief an Ivana, den wir im Folgenden veröffentlichen. Der Brief wurde erstmals veröffentlicht in Ivana Hoffmanns Biografie: „Ivana Hoffmann – Ein Leben voller Liebe und Hoffnung“.

„Als uns jene Nachricht erreichte, die unsere Wut zu einem Vulkan werden ließ, zeigte der Kalender den 8. März an. Dein lachendes Gesicht mit freudestrahlenden Augen blitzte wie eine Sternschnuppe in den Feierlichkeiten zum Internationalen Tag der werktätigen Frau auf. Mit deinem internationalen Geist und deiner Militanz wurdest du zu einem bezaubernden Lied, das auf den Plätzen des 8. März widerhallte. Die werktätigen Frauen, die die Plätze füllten, stimmten in dein Lied ein. Du hast den Kampfgeist der Frauen gestärkt und ihnen einen unbeugsamen Willen eingeimpft. Im Kampf gegen den Kapitalismus und den IS-Faschismus bist du am 7. März Hand in Hand mit Genosse Coşkun in die Unsterblichkeit eingegangen, bist du, eine Blume im Garten des Widerstandes der unterdrückten Völker, mit dem kommunistischen Arbeiterführer Genosse Süleyman Yeter zusammengekommen. Dieses Mal erlebte Rojava-Kurdistan, wie sich das Blut und der Kampf der Unterdrückten aus Togo, Europa und Kurdistan miteinander vermischten. Als du dich aus Europa nach Kurdistan aufmachtest und zu uns kamst, hattest du einen Rucksack und deinen Traum zu kämpfen im Gepäck. Und bunte Halstücher brachtest du mit, ich bekam auch eins. Nachdem du gefallen warst, schmiegte sich dein Geschenk genauso an mich wie du vorm Einschlafen. Das hat mir Kraft gegeben, ich habe deine warme Genossenschaftlichkeit gespürt. Du hattest deine Zukunft auf dem Rücken als du ankamst. Du wolltest dich so schnell wie irgend möglich mit dem kurdischen Volk in den Kampfstellungen vergenossenschaftlichen, für die Freiheit der Frauen kämpfen und die internationalistische Fahne der MLKP wehen lassen. Dein Wunsch war es, dich mit jeder Faser deines Ichs am Widerstand für Würde und Freiheit zu beteiligen. Mit deiner Unsterblichkeit hast du all das erreicht und dazu noch die Saat der Gründungsverkündung der KKÖ mit deiner Frauenmilitanz, der Kraft und dem Willen einer Kämpferin aufgehen lassen. Ivana Hoffmann, in den Bergen und Straßen Kurdistans Avaşîn Tekoşin Güneş. Das Gebiet Avaşîn hast du im Fernsehen gesehen, eine befreundete PKK-Kämpferin hat dir davon wo erzählt, es hat dir sehr gefallen. Es war eine Region, die du sehr gerne sehen wolltest. Du konntest zwar noch nicht dorthin, aber den Namen hast du dir gesichert als du nach Kurdistan kamst. Eine Freundin aus Mardin, die dir sehr nahestand, ist in den Reihen der PKK mit dem Namen Tekoşin unsterblich geworden und du sahst es als deine Aufgabe an, dieses Erbe anzutreten und auch den Namen Tekoşin anzunehmen. Und als Trägerin des militanten Erbes der kommunistischen Jugend hast du als Nachnamen den Parteinamen von Şengül Boran gewählt, die zur Vorbereitung noch größerer Kämpfe in ein militärisches Ausbildungscamp ging, wo sie unsterblich   wurde. Mit diesen Namen hast du dich mit dem gemeinsamen Geist verschiedener kämpfender Frauen umgeben. Du hast den Kampf der Völker, den Willen und das Niveau der kämpfenden Frauen zu deinem eigenen gemacht. Und mit der Kraft und Leidenschaft, die sie dir gaben, umarmtest du alle Aufgaben des Kampfes. Ich wollte dir zu deinem Geburtstag einen Gruß schicken. Meine Erinnerungen an dich kollektivieren. Deine Schnelligkeit, Kraft, Klugheit, Aufregung, Hoffnung und Fröhlichkeit teilen. Der 1. September 1995 ist Genossin Avaşîns Geburtstag: Wie gut, dass du geboren bist, schöne Frau, wie gut, dass du unsere Genossin geworden bist. Mit neunzehn hast du deinen Namen als junge Kämpferin im Gedächtnis der Weltrevolution verewigt. Indem du als militanter Frauengeist des Internationalismus zu den Sternen geflogen bist, wirst du in den Herzen und im Bewusstsein der unterdrückten Frauen immer wieder neu geboren. Was für große Kämpfe hast du in deinem neunzehnjährigen Leben untergebracht. Letztes Jahr haben wir deinen Geburtstag bescheiden gefeiert. Du warst glücklich, das 18. Lebensjahr abzuschließen. In deinem noch etwas eigenwilligen, aber gut verständlichem Türkisch sagtest du ‚jetzt für mich kein Verbot mehr, ich jetzt groß, gehen wohin ich will’ und machtest deutlich, dass du dein neues Lebensjahr genießen wolltest. Dir gelang es, mit kleinen Dingen glücklich zu sein, Genossin. An diesem Abend holtest du die Fotos von deiner Mutter und deinem kleinen Bruder heraus und hast sie dutzende Male geküsst. Du hast wirklich einen niedlichen Bruder. Als wir gesagt haben, dass du die Bilder dort, wo du schläfst, aufhängen kannst, warst du überglücklich. Jeden Abend vor dem Schlafengehen gab es ein Küsschen. Oder einen Finger auf die Nase. Manchmal hast du deine Mutter vermisst. Du machtest dir Gedanken um sie.  Als ich gefragt habe, was deine Mutter an deinem Geburtstag macht sagtest du, dass sie Torte für dich kauft und auf jeden Fall deinen Geburtstag feiern wird, auch, wenn du nicht zu Hause bist. Wenn du von deiner Familie erzähltest, verflog alle Traurigkeit. In deinen vor Glück glänzenden Augen begannen Funken zu tanzen. Du hast sie sehr geliebt. Manchmal hast du dir gewünscht, deine Mutter wäre bei dir. Dann umarmtest du die Genossinnen in deiner Nähe und wolltest, dass wir deine Haare streicheln, zwischen die vor lauter Locken weder Wasser noch ein Finger kommt. Eine junge Frau erfüllt von Glück. Ein wundervoller Mensch, der in der Zukunft noch größere Kämpfe führen würde. Damit du schneller türkisch lernst, baten wir dich eine Weile aufzuschreiben, was du den Tag über gemacht hast. In deinen täglichen Berichten äußertest du auf jeden Fall immer eine Kritik, einen Wunsch oder Vorschlag. Die Überschwänglichkeit der Jugend fand auch immer einen Weg in deine Berichte. Manchmal in Form eines Smileys oder einer traurigen Fratze. Die verdatterten Gesichter waren lustig. Du zeichnetest eine Katze, die du Uzayli (Außerirdische) nanntest, anstelle eines erstaunten Gesichts. Mit der Katze, mit ihren riesigen Augen und dem winzigen Gesichtchen, hattest du viel Spaß. Wenn etwas nicht erlaubt wurde, was du gerne wolltest, hieß es sofort: ‚Immer gleich Ivana verboten! … heute ich dich nicht mögen!‘ Aber schon den Bruchteil einer Sekunde danach umarmtest du mich voller Innigkeit. Du warst ausgesprochen   kräftig und wenn du uns so fest umarmtest, dass es weh tat, amüsiertest du dich köstlich. Du hast gerne Süßigkeiten gegessen. Schokoladige Überraschungen waren das Höchste der Gefühle. Außerdem hast du gerne Trickfilme geschaut. Du necktest eine Genossin, die sehr gerne Schokolade aß, indem du sagtest ‚du darfst mich meine Schokolade nennen‘. Genossin Ivana, du warst eine junge Frau voller Leben mit einer unerschöpflichen Energie. Du stürztest dich ins Leben wie ein reißender Fluss, der frei fließen will. Du wähltest den Pfad der Freiheit, der Grenzenlosigkeit. Du spürtest den Schmerz aller Unterdrückten in deinem Herzen und konntest es nicht abwarten, etwas zu tun. Dir kam es so vor, als ob die Zeit der Ausbildung nie enden würde. Du wolltest so schnell wie möglich deinen Platz in den Stellungen einnehmen und eine militante Frauenkämpferin sein. Mit vor Stolz geschwellter Brust nahmst du die Ehre wahr, die MLKP zu vertreten. Du bargst eine unbezähmbare Kraft in dir. Unbezähmbare Energie und Überzeugung, die versuchten, sich einen eigenen Weg zu bahnen. In intensiven praktischen Phasen fielen dir mittags manchmal die Augen zu. ‚Schlaf, Schlaf ‘ war unter uns beiden das Codewort dafür, dass du gehen und dich ausruhen durftest. Sobald du diese beiden Wörter hörtest, öffneten sich fröhlich deine schlitzförmigen Augen, die man unter den sich bleiern senkenden Liedern schon kaum noch sah und du gingst sofort schlafen. Du warst eine freie Genossin, die Beschränkungen nicht ertragen konnte. Ein aufrührerischer Geist warst du. 

Manchmal führte das zu Auseinandersetzungen, aber sobald der Grund für die Einschränkung erklärt wurde, war die Sache für dich geklärt. Mit den Worten ‚Ich Harlem-Kind, mit mir habt ihr es schwer, ihr schlafen, ich gehen verbotene Zone‘ sagtest du ganz offen, dass du keinerlei Grenze anerkennst. 

Mit dem, was du erlebtest, fühltest oder dachtest hieltest du nie hinterm Berg. Du hattest eine ausgeprägte Kritikkraft. Ohne die Probleme zu vertagen, brachtest du deine Kritik sofort und deutlich zur Sprache. Eines Tages wollten wir gerade anfangen, zu essen als du mit den Worten ‚einen Moment, alle nennen sich untereinander Genoss:in, aber mich nennt ihr Avaşîn’ dafür sorgtest, dass wir mit dem Löffel in der Hand inne hielten. Du hast kritisiert, dass wir dich deines Alters wegen nicht Genossin nennen und uns damit eine gute Lektion erteilt. Du warst eine verdammt schlaue Frau. Deine Diskussionskultur war auf einem hohen Niveau und du hattest einen weiten Horizont. Du hattest wirklich keine Grenzen. Mit uns Spracharmen, Kindern eines Landes von Sprachstümpern kamst du schnell in Kontakt, obwohl du kein Türkisch sprachst. Während wir fünf bis zehn Wörter deiner Sprache lernten, hast du türkisch im Großen und Ganzen gelernt und zusätzlich sogar angefangen kurdisch zu lernen. Du setztest die Puzzleteile schnell zusammen und warst sehr erpicht darauf, die geheimen Dinge zu erfahren, die dich so neugierig machten. Das machte dir unglaublich viel Freude. Du hast gerne gelesen und diskutiert. Wenn du einen Genossen trafst, der eine Sprache konnte, die du sprachst, diskutiertest du, ohne auch nur einen Moment zu verstummen die Kongressdokumente oder unsere Politik für die kommende Zeit. Wir haben oft versucht mithilfe des Wörterbuches zu diskutieren und meistens nach einer Weile ermüdet aufgegeben. Du hast dich auch gerne mit dir selbst befasst. Mit den Worten ‚Ich Kommandantin, ich stark, ich populär‘ fordertest du uns zum Armdrücken heraus und überprüftest jeden Tag, ob du stärker geworden bist. Auf Neckereien wie ‚du verwöhnt, du populistisch‘ reagiertest du mit Lachen. Du warst eine Guerillakämpferin voller Fröhlichkeit. Deine Hosentaschen, dein Rucksack, deine Augen, dein Herz waren voller Glück. Im Schoße der Natur, begleitet vom Freiheitsgezwitscher der Vögel, bereitetest du dich auf den Krieg vor. Als du einen Brief von deiner Mutter bekamst, hattest du beim Lesen Glückstränen in den Augen. Zu hören, dass deine Mutter Respekt vor deinem Kampf hat, stärkte deine Hoffnung, deine Überzeugung und dein Streben. Die Freude, als du das erste Mal deine Waffe in der Hand hieltest, war wirklich sehenswert. Du probiertest verschiedene Positionen aus sie zu tragen, gingst ein paar Schritte, begutachtetest dich von oben bis unten. Vor Aufregung warst du so durcheinander, dass du nicht wusstest, wohin mit dir. Du trenntest dich unter keinen Umständen auch nur einen Augenblick von deiner Waffe und die Reinigung erledigtest du stets gewissenhaft. Du erlebtest das Glück, das zu tun, was du mit Herz und Kopf wolltest. Du schäumtest geradezu über vor Freude darüber, dass dein Wunsch Wirklichkeit geworden war. Als es das erste Mal zur Sprache kam, dass du für die Genoss:innen Essen kochen solltest, sagtest du ‚ich nicht wissen wie machen‘. Davor hattest du mit anderen Genoss:innen zusammen Küchendienst gehabt. Als wir kurze Zeit später darüber diskutierten, dass du diese Aufgabe alleine übernimmst, sagtest du: ‚Ihr bleiben hungrig, nicht mein Problem‘. Wir erwiderten, dass wir wollen, dass du alleine kochst und du es so machen kannst wie du möchtest und wir uns in jedem Fall mit dem Ergebnis abfinden werden. Als wir uns zum Mittagessen um den Tisch versammelten sahen wir dort nur Wasser, und Brot. Mit Worten wie ‚ich vorher gesagt, ich nicht können‘ versuchtest du die Situation zu erklären, aber du hieltest nicht lange durch, deinen Erfolg und deine Freude noch länger für dich zu behalten. Sofort brachtest du das wirklich sehr schmackhaft gewordene Essen auf den Tisch. Du warst aufnahmefähig, jemand der durch Beobachten lernt und schnell das Gelernte selber in die Praxis umsetzt.

Das war eine starke Seite von dir, die sich in allen Lebensbereichen offenbarte. Für eine junge Frau, die aus einfachen Verhältnissen kam, auf ihre Geschwister aufgepasst hatte, sowohl zur Schule gegangen war als auch gearbeitet hatte, waren solche Dinge einfach. Du hattest den Traum, in Istanbul mit der Fähre über den Bosporus zu fahren und dabei Eistee zu trinken. Du wolltest erst im Krieg Erfahrungen sammeln und anschließend nach Nordkurdistan gehen. Danach wolltest du nach Istanbul und an der Milizarbeit teilnehmen. Diejenigen, die an diese Orte kommen, können am 1. September, deinem Geburtstag, diesen Wunsch von dir umsetzen und dir so gratulieren. Dir ist es gelungen, in deinen neunzehn Jahren Lebenszeit unglaubliche Träume und eine starke Praxis unterzubringen. Die Gründung der Kommunistischen Frauenorganisation und die Frauenrevolution hast du mit deiner Aufopferungsbereitschaft über den Schützengraben beantwortet. Du hattest keine Zweifel, was deine Identität angeht, du lebtest frei und hattest den Traum von einem noch freieren Leben und deshalb hattest du auch bei deinen Zielen keine Zweifel. Deine Wut auf die faschistischen Banden, die die Frauen missachten und sie Sklaverei, Vergewaltigung und Massakern aussetzen war groß. Mit deiner freien LGBTI+-Identität wurdest du im Kampf für   unsere freie Zukunft zu einem leuchtenden Stern. Bei uns allen hinterlässt du eine tiefe genossenschaftliche Liebe und große Aufgaben auf unseren Schultern. Ich verneige mich ehrfürchtig vor deinem Andenken und deinem Kampf. Die Brücke meines Herzens zu deinem Frauenherz schlagend möchte ich dir noch einmal sagen: Wie gut, dass du geboren bist, meine schöne Genossin. Alles Gute zum Geburtstag… Wie gut, dass es dich gibt, wie gut, dass wir Genossinnen geworden sind, schöne Frau. Du warst eine Guerillakämpferin voller Liebe und Hoffnung, genauso wie du es dir erträumt hast. Du hast uns alle verzaubert.“