Das Jahr 2021 stand im Zeichen einer weltweiten existenziellen Krise des Kapitalismus und war geprägt von massiven Angriffen auf uns Jugendliche, Frauen, LGBTI+ und Werktätige. Andererseits jedoch hat unser gestiegener Wille zum Widerstand die Herrschenden jeden Tag aufs Neue ins Zittern gebracht. Denn im Gegensatz zum Beginn der Pandemie, wo sich die Bevölkerung, darunter auch erschreckend große Teile der Linke, staatstreu zuhause einsperren ließ, war 2021 international von breiteren, militanteren Aufständen und Kämpfen gegen die sich immer weiter zuspitzenden Krisen des Kapitalismus gezeichnet.
Corona und Krise – Ein Ende noch immer nicht in Sicht
Dass wir nach fast zwei Jahren Pandemie mit überlasteten Gesundheitssystemen, geschundenem medizinischem Personal und mit mehr als fünf Millionen Toten jetzt mitten in der vierten Welle samt einer neuen, gefährlichen Variante stecken, ist nicht etwa dem Umstand geschuldet, dass wir uns zu oft mit unseren Freund:innen in der Freizeit getroffen haben. Entgegen der Devise seit Tag 1 der Pandemie, nämlich dass die Pandemiebekämpfung eine Sache der Eigenverantwortung ist, wissen wir, dass die wahre Gesundheitsgefahr von Büros, Fabriken, Baustellen, Schlachthöfen und dergleichen ausgeht. In einem System, das auf Profitmaximierung um jeden Preis ausgelegt ist, stellt eine effektive Pandemiebekämpfung nun mal eine Unmöglichkeit dar. Einerseits ist in dieser existentiellen Ausnahmesituation Social Distancing und das damit automatisch verbundene Herunterfahren der Wirtschaft geboten, andererseits muss die Wirtschaft am Laufen gehalten werden, was ohne ein Zusammenführen von Menschen nicht geleistet werden kann. Dieser unlösbare Widerspruch des Kapitalismus demaskierte diesen vollkommen und legte für alle ersichtlich seine fundamentalen Unzulänglichkeiten offen.
Auch die Impfstoffe, welche als die ultimativen Heilsbringer propagiert wurden, haben es nicht geschafft, der Misere ein Ende zu setzen, vor allem, weil sie nach marktwirtschaftlichen Spielregeln entwickelt und vertrieben wurden, was zur Folge hatte, dass reiche Regierungen den Weltmarkt leer kauften, während die Pandemie im Globalen Süden nun schlimmer denn je wütet.
Wir befinden uns in der größten sozioökonomischen Krise der Nachkriegszeit, von der nahezu alle Lebensbereiche betroffen sind. Weltweit gingen Zig Millionen Jobs vorwiegend im Niedriglohnsektor verloren mit katastrophalen Folgen für Hunderte Millionen von Menschen, die teils an den Existenzrand gedrängt wurden, während Regierungen milliardenschwere Hilfspakete für Superreiche und Großkonzerne bereitstellten.
Diese Umstände wurden im vergangenen Jahr mitnichten unbeantwortet gelassen. Weltweit gingen Menschen trotz der Pandemie auf die Straße, um ihre Rechte einzufordern: Linke Gewerkschaften riefen in der Türkei zu breit angelegten Protesten gegen die Wirtschaftskrise und den Währungsverfall auf, woraufhin tausende Arbeiter:innen die Straßen stürmten. Trotz zahlreicher Festnahmen von Studierenden lässt sich ihr Widerstand nicht brechen. Die Proteste dort und auch jene in Frankreich, Indien oder Kolumbien zeigen: Im nächsten Jahr ist es notwendiger denn je, sich nicht von der Pandemie aufhalten zu lassen, auf die Straßen zu gehen und gegen die Krise unserer Unterdrücker vorzugehen. Nur so wird eine wirksame Pandemiebekämpfung möglich sein, wenn wir uns nämlich eine Welt erkämpfen, wo nicht nach den Interessen des Kapitals, sondern nach den Bedürfnissen von Mensch und Natur, gewirtschaftet wird.
Denn im Kapitalismus sind Menschenleben letztlich auch nur ein Posten, ein Faktor neben vielen anderen, und wie der ehemalige Bundestagspräsident Schäuble es bereits am Anfang der Pandemie unverhohlen zugegeben hat: Es gibt keinen automatischen Vorrang des Lebens.
Dass Menschenleben nichts wert im Kapitalismus sind, wurde insbesondere im Hinblick auf das Wiedererstarken faschistischer und reaktionärer Kräfte – im Staat und auf den Straßen – seit dem Aufkommen der Pandemie mehr als deutlich: Vermehrte Polizeimorde, das Verhindern der Aufklärung des faschistischen Anschlags in Hanau, das Schließen der Suruç-Akten und das Abstempeln dieses Attentats als „Einzelfall“, die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, die menschenunwürdige Behandlung von Gefüchteten an der polnisch-weißrussischen Grenze oder die bevorstehende Invasion in Rojava durch den faschistischen türkischen Staat: Wir sehen klar und deutlich, dass sich Faschisten immer weiter aufrüsten und diese Gefahr unser aller Leben bedroht. Es handelt sich um das offensichtliche, dennoch im bürgerlichen Mainstream totgeschwiegene Phänomen: In Zeiten von organischen Krisen des Kapitalismus stützen sich die Herrschenden immer mehr auf ihr Projekt zur Rettung des Kapitals: Auf den Faschismus.
Schulter an Schulter gegen den Faschismus!
Im Jahr 2021 mussten wir viele Rückschläge und Enttäuschungen erleben. Einige Monate nach unserer Aktionswoche anlässlich des Jahrestags von Hanau, wo wir die bundesweiten Aktionen maßgeblich leiteten, wurde offengelegt, dass die meisten SEK-Beamten, die während der Tat im Einsatz waren, Teil von rechtsextremen Chats waren. Darüber hinaus wurde, so wie die Suruç-Akten in diesem Jahr, auch die Ermittlungen zu Hanau eingestellt. Auch vom Mord an Giorgos Zantiotis, der von Polizisten ermordet wurde, wurde eine Woche lang kein Wort in den Medien verloren. Wenn sich also die Politik und bürgerliche Massenmedien verbünden, um rassistische Gewalttaten klein zu reden und unter den Tisch zu kehren, ist es an uns, echte Gerechtigkeit für die Angehörigen zu erkämpfen. Auch die neue Bundesregierung, die seit diesem Jahr in Kraft tritt, wird uns keine Gerechtigkeit verschaffen, egal wie viele leere Versprechen und Lippenbekenntnisse sie auch von sich geben wollen. Im Endeffekt wird es bei derselben neoliberalen Politik mit den gleichen Politiker:innen bleiben, die nichts als Handlanger des Kapitals sind. In diesem Sinne gilt es auch im kommenden Jahr, sich nicht auf bürgerliche Institutionen, allen voran auf die bürgerliche Justiz, die Faschisten mit Samthandschuhen anfasst, zu verlassen, sondern den Kampf für Aufklärung selbst immer und überall weiterzuführen. Gerechtigkeit für Zantiotis, für die Ermordeten von Hanau und Suruç und für alle anderen, die durch den Faschismus ihr Leben verloren haben!
Trotz des massiven Auswuchses des Faschismus in unserer Zeit und das qualvolle Leiden, das wir erfahren mussten und noch immer müssen, ist uns klar, dass ein faschistischer Ausgang der Krise des globalen Kapitalismus keineswegs unvermeidlich ist. Ob es dem Faschismus gelingt, sich zu festigen oder nicht, hängt davon ab, wie sich der Kampf zwischen den politischen Kräften in den kommenden Jahren entwickelt. Bertolt Brecht sagte treffend:
„Es kann in einem Aufruf gegen den Faschismus keine Aufrichtigkeit liegen, wenn die gesellschaftlichen Zustände, die ihn mit Naturnotwendigkeit erzeugen, in ihm nicht angetastet werden.“
Um den globalen repressiven Polizeistaat und den Faschismus des 21. Jahrhunderts erfolgreich zu bekämpfen, müssen wir eine Einheitsfront gegen ihn aufbauen. Als Sozialist:innen müssen wir dabei stets in antifaschistischen Bündnissen jene Strategie vertreten und umsetzen, die über den Faschismus hinaus das kapitalistische System anprangert, welches vom Faschismus profitiert und ihn somit immer wieder gedeihen lässt.
Darüber hinaus stehen wir als Internationalist:innen in der Pflicht, über den deutschen Faschismus hinaus Faschisten weltweit zu bekämpfen. In diesem Sinne müssen wir unsere Solidarität mit all jenen auf der Welt, die akut vom Faschismus bedroht sind, in die Praxis umsetzen.
Die Rojava-Revolution ist erneut in Gefahr. Als der IS seine Schreckensherrschaft im mittleren Osten mit türkischer Unterstützung immer mehr ausweitete, nahmen insbesondere die Frauen den Kampf gegen den schärfsten Ausdruck des Patriarchats selbst in die Hand. Es konnte sich letztlich erfolgreich gegen den IS durchgesetzt werden. Durch die geplante militärische Operation des faschistischen türkischen Staates ist das fortschrittliche Projekt Rojava, das den Anfang vom Ende des Patriarchats und des Faschismus darstellt, wieder einmal bedroht. Es ist unsere Verantwortung, die bürgerlichen Grenzen einzuschlagen, die internationale Solidarität auf unsere Fahnen zu schreiben und Rojava mit aller Macht zu verteidigen.
Frauen an vorderster Front
Die Rojava-Revolution ist eine Frauenrevolution, an welcher wir sehen, was erreicht werden kann, wenn sich Frauen selbst organisieren und gegen ihre Peiniger und Unterdrücker vereint kämpfen. In allen progressiven Bewegungen und Kämpfen weltweit stoßen wir stets auf Frauen, die, koste es, was es wolle, an vorderster Front stehen. Es waren Frauen, die den ersten Schritt gewagt haben und seit Pandemiebeginn gegen die verfehlte Corona Politik auf die Straßen gegangen sind. Die Corona-Krise hat die ohnehin schon doppelte Belastung der Frau weiter verschärft, häusliche Gewalt hat erschreckend zugenommen und die Zahl an Femiziden ist noch höher, als sie es ohnehin schon vor der Pandemie war. Gleichzeitig erleben wir jedoch auch einen verstärkten Widerstand der Frauen im letzten Jahr: In Afghanistan kämpfen Frauen seit der Machtübernahme der reaktionären Taliban-Banditen im Sommer dieses Jahres unter dem Einsatz ihres Lebens unerbittlich für ihre Rechte. In Mexiko, einem Land mit durchschnittlich zehn Femiziden pro Tag, lassen sich die militanten Selbstverteidigungsstrukturen der Frauen trotz massiver Repression mitnichten auflösen.
Der 8. März ist jeden Tag: Unter dieser Losung werden wir 2022 im Erbe von all unseren gefallenen Schwestern das Patriarchat bekämpfen und diesen schlussendlich im Keime ersticken. Lasst uns stets im Kopf behalten, dass es der Frauenbefreiungskampf ist, der zu guter Letzt jegliche Herrschaft des Menschen über den Menschen zerschlagen wird.
Unsere Solidarität gegen ihre Repression!
Von Berfin Polat bis Lina E: Der antifaschistische, antipatriarchale und antikapitalistische Kampf bleibt von den Herrschenden natürlich nicht unbeantwortet. Je intensiver und häufiger unsere Bewegungen werden und je mehr revolutionäre Alternativen zum bestehenden System in der Gesellschaft Widerhall finden desto mehr verschärfen sich auch die Repressionen gegen revolutionäre Kräfte. Insbesondere kämpfende Frauen versetzen unsere Unterdrücker in Angst und Schrecken, was sich durch die Inhaftierung von Berfin und Lina in aller Deutlichkeit zeigte. Während der bürgerliche Staat progressive Aktivist:innen und Kommunist:innen hinter Gitter steckt, versucht ihren Kampf zu kriminalisieren und mit immer repressiveren Gesetzen wie das Versammlungsgesetz in NRW anstrebt, unseren Widerstand unmöglich zu machen, zeigen wir auf, dass der Kampf der politischen Gefangenen gegen das verbrecherische kapitalistische System legitim und darüber hinaus lebensnotwendig ist. Auch bürgerliche Gesetzgebungen eben wie jenes in NRW, das neulich endgültig umgesetzt wurde, wird uns nicht davon abhalten, unsere Kämpfe weiterzuführen. Nach massiven Repressionen an uns im Rahmen der Aktionen gegen das Versammlungsgesetz sind wir entschlossener denn je, für den Sozialismus einzustehen, herausgegangen.
Wir haben nichts zu verlieren als unsere Ketten…
… Wir haben eine Welt zu gewinnen!
Unter diesem Motto hielten wir im November erfolgreich unseren achten Kongress ab, der im Namen aller politischen Gefangenen stattgefunden hat. Gestärkt durch unser Zusammenkommen und unsere aufschlussreichen Diskussionen schreiten wir voller Zuversicht und Kampfgeist ins Jahr 2022. Auf dass es ein Jahr voller revolutionärer Errungenschaften wird!