Sommer, Sonne, Strandurlaub. Während viele Jugendliche sich an den Urlaubsorten der
italienischen Küste tummeln und sich eine Auszeit vom Stress des Alltags nehmen, kämpfen
Arbeitslose auf den Straßen Neapels und Palermos um ihr Überleben. Die Sozialhilfe wurde
stark eingeschränkt, für viele bedeutet das Existenzangst.
9 Monate ist es her, dass die Faschistin Giorgia Meloni, als erste Frau, das Amt der
Ministerpräsidentin in Italien angetreten hat und seit dem in einer rechten Koalition aus
Fratelli d`italia, Lega und Forza Italia regiert – liberal, konservativ, nationalistisch. Vor einigen
Tagen erhielten 169.000 Menschen eine SMS, die sie benachrichtigte, dass ihnen die
Existenzgrundlage genommen wird. Menschen, die auf Unterstützung des Staates
angewiesen sind und ab dem 01.08.23 keinen Cent mehr bekommen werden.
Seit dem Wahlkampf sind die Feindbilder Melonis und ihrer Partei klar: Selbstbestimmung
von Frauen und LGBTI+, Geflüchtete und Opposition.
Im März stellte sich die Regierung gegen die Durchsetzung einer EU Verordnung zur
Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehe. Meloni sagte, dass „ein Kind nur das Beste
verdient: eine Mutter und einen Vater“. Damit schließt Italien sich der Politik der
Tschechischen Republik, Ungarn, Polen und der Slowakei an.
Im Zuge der Umbenennung des Ministeriums für „Gleichberechtigung und Familie“ in
„Ministerium für Familie, Geburtenrate und Gleichberechtigung“ und die Ernennung der
konservativen Eugenia Roccella als Familienministerin, macht vielen Frauen in Italien Angst.
Öffentlich hat Meloni behauptet, den Abtreibungsparagraphen nicht anrühren zu wollen, die
Erfahrungen vieler Frauen seit den Wahlen zeigen eine andere Realität. Statt einem
offiziellen Verbot, gibt es einfach niemanden mehr, der sichere Abtreibungen durchführt.
Eine Gynäkologin aus Umbrien berichtet: „An den katholischen Universitäten, die als die
besten gelten, wird nicht über Abtreibung oder Verhütung gesprochen, und wer dort arbeitet,
muss ein Dokument unterschreiben, um Abtreibungen aus Gewissensgründen zu
verweigern.“ Trotz der oberflächlichen Legalität von Schwangerschaftsabbrüchen sind
Frauen praktisch wieder gezwungen, in andere Regionen oder Länder zu fahren oder unter
prekären Bedingungen abzutreiben.
Frauen sollen wieder stärker in die Rolle gedrängt werden, aus der sie auszubrechen
versuchen. Hausfrau, Mutter, Ehefrau. Die Bemühungen des Ministeriums sind es vor allem
finanziell die Absicherung der Kleinfamilie mit einem Hauptverdiener zu sichern. Finanzielle
Absicherung durch beispielsweise Steuererleichterungen bedeutet auch immer finanzielle
Abhängigkeit für den, der nicht Hauptverdiener ist. Meistens die Frau, die immer weiter zur
Hausfrau gemacht wird, weil es sich nicht mehr lohnt, auch arbeiten zu gehen; unabhängig
zu sein.
Während bürgerliche Medien immer noch diskutieren müssen ob der Wahlsieg Melonis jetzt
ein Erfolg für die Frauenbewegung war oder nicht, können wir klar sagen: Die faschistische
Ideologie macht Frauen zu Gebärmaschinen für Staat und Mann und wir stehen gegen alle,
die diese Kraft stärken.
Ein wichtiges Standbein der Wahlkampagne von Fratelli d’Italia war das Feindbild Migration.
Italien, besonders der Süden, ist sehr stark von Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit und Armut geprägt. Den Faschisten gelingt es immer wieder die Wut, die Frustration und
Hoffnungslosigkeit der Menschen zu nutzen und gegen Geflüchtete zu instrumentalisieren,
statt gegen Staat und Kapital.
Kurz nach ihrem Amtsantritt erließ die Regierung Bestimmungen, die es Seenotrettungs-NGOs fast unmöglich macht, ihrer Aufgabe gerecht zu werden: Bei jeder Fahrt darf nur ein
Boot gerettet werden. Gleichzeitig verschärfen sich Klima- und soziale Krisen in Nordafrika
und zwingen immer mehr Menschen zur Flucht nach Europa. Meloni versucht nun, die
Stellung Italiens zu nutzen, um wirtschaftliche Interessen in der EU und global
durchzusetzen, da es bis jetzt noch nicht gelingt, das Asylrecht legal weiter einzuschränken.
Als die neofaschistische Regierung sich zur NATO und EU bekannte, atmete der Westen auf
und sieht seitdem kein Problem an einer engeren Zusammenarbeit mit dem Regime. Diese
Position zeigt die Tendenz der neuen faschistischen Welle in Zeiten der imperialistischen
Globalisierung sehr gut auf. Meloni sicherte der Ukraine ihre volle Unterstützung zu und
erkannte ihre Position, um den eigenen westlichen Imperialismus wieder zu stärken. Der
Krieg in der Ukraine bietet die Grundlage für die Militarisierung und Aufrüstung, den
Repressionsapparat weiter aufzubauen und den westlichen Nationalismus zu stärken. Die
Konflikte um die Neuaufteilung der Welt zwischen den imperialistischen Fronten rücken
näher. Der Faschismus wird hier als Mittel genutzt, um die bestehende Ordnung um jeden
Preis zu schützen.
In Italien herrschen politische Freiheiten und Rechte, auch wenn diese scharf angegangen
werden. Wir können (noch) nicht von einem faschistischen Land sprechen. Aber die
Regierung, ihre Propaganda und die Einschränkungen, die sie durchsetzen, nähren nicht
nur in Italien den Boden für Reaktionäre und Faschisten, für Gewalt und Krieg. In ganz
Europa profitieren die Herrschenden davon, dass es in Italien wieder salonfähig ist, offen
gegen LGBTI+, Geflüchtete und Oppositionelle zu hetzen und nationalistische
Kriegspropaganda zu betreiben.
Wie weit die italienische Regierung heute schon bereit ist zu gehen, sehen wir an den
extremen Kürzungen in der Sozialhilfe. Das erst 2019 eingeführte Bürgergeld wird quasi
komplett wieder abgeschafft. Arbeitslose zwischen 18 und 59 Jahren ohne Behinderung
oder Kindern bekommen keine finanzielle Unterstützung mehr. Nur wenn sie sich an
konkreten Weiterbildungsmaßnahmen beteiligen, stehen ihnen zeitlich begrenzt 350€
monatlich zu. Ohne Mietzuschuss, dafür aber mit Beschränkungen, wofür das Geld
ausgegeben werden darf. Besonders unter Jugendlichen ist die Arbeitslosigkeit weit
verbreitet, im Juli 2021 waren ca. 28% aller Jugendlichen arbeitslos. Die einzige
Perspektive: Auswandern oder Schwarzarbeit. Wir sehen hier direkt, wie der
Repressionsapparat des italienischen Staates ausgebaut wird, um Arbeiter:innen immer
weiter in Armut oder ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu drängen.
Dieser Schlag, der von der Opposition als „Kampf gegen Arme, statt Kampf gegen Armut“
bezeichnet wurde, ist ein harter Schlag auf die gesamte arbeitende Klasse Italiens und er
bleibt nicht unbeantwortet. Vor den Sozialämtern, besonders Süditaliens, gibt es Proteste, zu
denen Gewerkschaften und fortschrittliche Organisationen aufrufen. In Palermo hat ein
Mann das Büro des Bürgermeisters mit Benzin überschüttet und gedroht es anzuzünden.
Die Menschen sind wütend und sie sind auf der Straße. Sie kommen zusammen und sind
bereit zu kämpfen, denn sie wissen, was ihnen bevorsteht, ist der Kampf um das Überleben.
In Italien ist die Situation vergleichbar mit der in Frankreich: An allen Stellen kocht es, die
Jugend und die Arbeiter:innen sind bereit. Aber was fehlt ist die Verbindungen zwischen den
Kämpfen für soziale Gerechtigkeit und Selbstbestimmung, gegen Abschiebung und für
Abtreibung. Damit diese Kämpfe sinnvoll miteinander verbunden werden können und die
Wut der Arbeiter:innen, der Frauen, der Jugend, der LGBTI+ Personen und Migrant:innen
gebündelt und kraftvoll auf die Straße kommt und wirklich etwas erreichen kann, braucht es
Organisationen, die dieser Aufgabe gerecht werden können.
Lasst uns die Situation in Italien, das Potential für Klassenkämpfe und das Bewusstsein,
dass immer durch Krisen entstehen kann, als Aufruf an uns verstehen. Egal, wie die
Situation in dem Land ist, in dem wir leben, es wird der Tag kommen, da es starke
Organisationen braucht, um Kämpfe zu führen. Es ist unsere Aufgabe, als Jugendliche
schon heute diesen Kampf aufzubauen und uns zu organisieren!!