Seit inzwischen fast schon zwei Jahren herrscht in Äthiopien ein blutiger Krieg zwischen der Tigray Peoples Liberation Front (TPLF) und der zentralen Regierung unter Führung der Prosperity Party (PP) und dem Ministerpräsidenten Abiy Ahmed. Der ausgebrochene Krieg ist von besonderer Bedeutung, da die imperialistischen Kräfte in der Region am Horn von Afrika schon seit Jahren immer stärker versuchen ihre Einflussbereiche auszubauen. Auch der deutsche Imperialismus ist in der Region mit einer eigenen Militäraktion aktiv. Es stellt sich für uns Kommunist:innen somit die Frage, inwiefern der aktuelle Krieg in Äthiopien einen weiteren Versuch von imperialistischen Kräften darstellt ihren Einfluss auszubauen, ob es sich um einen reaktionären Bürgerkrieg handelt, oder ob es sich um einen Kampf um nationale Selbstbestimmung handelt.
Viele, sich als links verstehende Kräfte, haben sich hier entweder auf die Seite der äthiopischen Zentralregierung gestellt und die Annahme unterstützt19, dass es sich um einen Versuch der imperialistischen Einmischung handelt und die Zentralregierung einen antiimperialistischen Kampf führt. Der andere Teil hat sich auf die Seite der TPLF gestellt und die Ansicht vertreten, dass es sich bei dem Krieg um einen Kampf um nationale Selbstbestimmung handelt. Mit diesen Analysen zeigt sich die Tendenz vieler sich als links verstehenden Kräfte ein schon vorher festgelegtes Gedankenmuster auf eine gegebene Situation anzuwenden. Auch in der kommunistischen Bewegung besteht die Tendenz, schon vorher festgelegte Denkmuster und Analysen auf eine neue Situation anzuwenden. Dass zeigt sich zum Beispiel auch an die Herangehensweise einiger Organisationen und Parteien innerhalb der kommunistischen Bewegungen in Bezug auf die kurdische Frage. Auf diese Herangehensweise wird in Teil 1 unserer veröffentlichten Polemik zum imperialistischen Ökonomismus eingegangen.
Eine solche Herangehensweise wird uns als Kommunist:innen nicht gerecht, denn wir möchten auf Grundlage einer Analyse der Situation die entsprechenden Schlüsse entsprechend unserer Prinzipien ziehen. Wir möchten unsere Linie daher anhand der Frage des Kriegs in Äthiopien darlegen. Da wir in der Polemik zum imperialistischen Ökonomismus schon unsere allgemeine Linie zur nationalen Frage und auch im Bezug zur kurdischen Frage dargelegt haben, werden wir in diesem Artikel keine allgemeinen Fragen zur nationalen Frage diskutieren, sondern konkret über die Frage des Krieges in Äthiopien diskutieren.
Eine der wichtigsten Fragen, um eine Analyse zu dem Krieg zu entwickeln ist zum einen die nationale Frage in Äthiopien und zum anderen die Frage, welche Interessen die verschiedenen Akteure in der Region vertreten. Denn in den Erzählungen auf beiden Seiten ist die Loslösung der Tigray-Region ein zentrales Element. Die TPLF sieht sich als legitime Vertretung der Tigray-Nation und beruft sich bei ihren Handlungen auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die äthiopische Zentralregierung sieht die TPLF als separatistische Kräfte an, die die nationale Einheit Äthiopiens im Dienste des US-Imperialismus zerschlagen wollen. Die erste Frage, die hier aufgeworfen wird, ist folglich, ob es ein äthiopisches Volk gibt, oder ob auf dem Gebiet des äthiopischen Staates verschiedene Völker befinden und welchen Charakter ihre Beziehung zueinander hat.
Von Kaiser Menelik II. bis Haile Selaisse – Die Zeit des äthipoischen Kaissereichs
Der äthiopische Staat entstand in seiner heutigen Form im 19. Jahrhundert unter Kaiser Menelik II. Die Gründung Äthiopiens wurde dabei maßgeblich von den imperialistischen Mächten, wie Frankreich und dem deutschen Kaiserreich unterstützt. Durch die Staatsgründung festigte sich die Herrschaft der Amhara-Nation, welcher Menelik II. angehörte, über die anderen verschiedenen Nationen, welche sich im heutigen Äthiopien befinden. Das zeigte auch Walleligne Mekonnen, ein äthiopischer Marxist und Studentenführer, in seiner 1969 veröffentlichten Analyse zur nationalen Frage in Äthiopien („On the Question of Nationalities in Ethiopia“) auf. Auf dem Staatsgebiet von Äthiopien befinden sich die Oromo-Nation, die Tigray-Nation, die Amhara-Nation, die Gurage-Nation, die Sidama-Nation, die Wellamo-Nation, die Adere-Nation und die Somali-Nation (Aufzählung nach Größe der einzelnen Nationen). Die herrschende Klasse der Amhara-Nation, mit der Unterstützung der herrschenden Klasse der Tigray-Nation stellen die herrschende Klasse innerhalb des äthiopischen Staates dar. Das zeigt sich auch in der kulturellen Wahrnehmung von einer „äthiopischen“ Kultur außerhalb des Landes, welche primär von der Kultur der Amhara- und Tigray-Nation geprägt sind. Ausgehende von den herrschenden Klassen der Amhara- und Tigray-Nation, existiert somit innerhalb von Äthiopien eine nationale Unterdrückung verschiedener Nationalitäten, welche sich durch ökonomische, soziale und politische Unterdrückung zeigen.
Um den aktuellen Krieg und Konflikt zu verstehen, müssen wir auch betrachten, wie sich Äthiopien im Laufe der Geschichte entwickelt hat, wie es zu dem Land geworden ist, was es jetzt ist und welche Rolle die TPLF und die Zentralregierung in diesem Prozess gespielt haben.
Bis 1975 war Äthiopien ein Kaiserreich und einer der wenigen afrikanischen Staaten, welcher von kolonialistischer Besatzung weitestgehend verschont geblieben war. Bis zum Jahre 1935 hatte es Äthiopien erfolgreich geschafft, dass weder das imperialistische Großbritannien noch das imperialistische Italien mit ihren Versuchen das Land in ihre kolonialen Abhängigkeiten zu bringen, Erfolg hatten. Das faschistische Italien, dass nach neuen Eroberungen strebte erklärte Äthiopien vor Beginn des zweiten Weltkrieges im Jahre 1935 den Krieg. Auch hier konnte es Äthiopien schaffen eine vollständige Besatzung durch Italien zu verhindern. In Folge der Niederlage Italiens im zweiten Weltkrieg erhielt Äthiopien seine vollständige Unabhängigkeit zurück und erhielt zudem die Kontrolle über das Nachbarland Eritrea, welches vorher eine italienische Kolonie war. In den 60ern verschärfte sich auch in Äthiopien die Situation der Massen. Verarmung, Inflation und die Unterdrückung von politischen Freiheiten führten zu Massenprotesten von Studierenden und zu zahlreichen Streikwellen. Ähnlich wie in anderen Ländern entwickelte sich vor allem aus den Studierenden eine neue revolutionäre und kommunistische Bewegung, die das Ziel hatte in Äthiopien eine sozialistische Revolution durchzuführen. Doch jegliche Opposition wurde von dem damaligen äthiopischen Kaiser Haile Selassie unterdrückt. Doch das half auch nicht das die Unterstützung für das äthiopische Kaiserreich immer weiter abnahm und schließlich 1975 das Militär putschte und Haile Selassie als letzten äthiopischen Kaiser entmachtete.
Neue Hoffnung?
Das Ende des Kaiserreichs führte in Äthiopien zu einen zum Bruch mit dem westlichen Imperialismus, welcher vor allem vom kolonialistischen Apartheidstaates Israel getragen wurde, und mündete in dem Versuch in Äthiopien ein sozialistisches System aufzubauen. Die Militärregierung, die von Mengistu Haile Mariam angeführt wurde, auch Derg genannt, führte eine radikale Landreform durch und nationalisierte große Teile der Industrie und unterlegte den Markt der staatlichen Kontrolle. Diese Entwicklungen wurden auch von der revolutionären und kommunistischen Bewegung im Land unterstützt. Doch schnell zeigte sich der revisionistische Charakter der Militärregierung, welche sich der sozialimperialistischen Sowjetunion anschloss und die revolutionäre und kommunistische Bewegung im eigenen Land unterdrückte. Es wurde eine Militärdiktatur geschaffen, welche sich sozialistisch gab, aber nichts mehr mit Sozialismus zu tun hatte. Das zeigte sich auch an der anhaltenden nationalen Unterdrückung, vor allem der eritreischen Nation, weshalb schon seit der Zeit der Besatzung Eritreas durch das äthiopische Kaiserreich unter Haile Selassie die Eritrean Liberation Front (ELF) und die Eritrean Peoples Liberation Front (EPLF) einen bewaffneten Krieg für die nationale Unabhängigkeit Eritreas von Äthiopien führten, zuerst gegen das äthiopische Kaiserreich und dann gegen die Militärregierung. Die anhaltende politische Repression, eine große Hungersnot im Jahre 1985 und die anhaltende nationale Unterdrückung führten in den Folgejahren zur Gründung verschiedener Oppositionsorganisationen, welche auch den bewaffneten Kampf gegen die Militärregierung führten.
Die Gründung der TPLF
In dieser Phase, im Jahr 1975, gründete sich auch die TPLF: Eine sich als marxistische-leninistisch verstehende Organisation, welche die Lösung der nationalen Frage als notwendige Voraussetzung für die sozialistische Revolution ansah. Die TPLF geriet damit in Konflikt mit anderen revolutionären und kommunistischen Organisationen, wie die Ethiopian Peoples Revolutionary Party (EPRP), welche die Führung des Klassenkampfes als die primäre Notwendigkeit für die sozialistische Revolution ansah. Die TPLF schaffte es, während des Kampfes gegen das Derg-Regime eine breite Unterstützung innerhalb von Tigray aufzubauen und so eine Massenbasis vor allem unter den Bauern zu entwickeln. Schließlich schaffte es die TPLF, mit dem von ihr geführten Bündnis Ethiopian Peoples Revolutionary Democratic Front (EPRDF), welches aus von der TPLF gegründeten oder unterstützenden nationalen Organisationen der anderen Nationen in Äthiopien bestand, und der EPLF in einer Offensive das Derg-Regime 1991 zu stürzen und gründeten eine Übergangsregierung, welche die Umorganisierung des politischen Systems in Äthiopien in Angriff und die Unabhängigkeit Eritreas garantieren sollte.
Die größte Veränderung, die in dieser Zeit jedoch umgesetzt wurde, war die Umgestaltung des äthiopischen Staates auf Grundlage des von der TPLF entwickelten „ethnischen Föderalismus“. Dieses System sah vor, dass den verschiedenen Völkern in der Region mehr Autonomie zugesprochen wurde, und ihnen formal sogar das Recht auf Selbstbestimmung zugesprochen wurde und der Staat dezentralisiert wurde. Jedoch wurde die politische Macht weitgehend zentral von der EPRDF in Addis Ababa ausgeübt, welche von der TPLF geführt wurde. Zudem waren die regionalen Parteien, die die Regierungen in den verschiedenen neuen Regionalstaaten stellten die Mitgliedsorganisationen der EPRDF. Eine weitere wichtige Entwicklung innerhalb der TPLF und somit auch der EPRDF war, dass mit dem Sieg über das Derg-Regime jegliche Nennung von Sozialismus und Kommunismus aufgegeben wurde und stattdessen von „revolutionärer Demokratie“ gesprochen wurde. Zudem entwickelte die TPLF eine politische Beziehung mit dem US-Imperialismus, welche sich aus der Unterstützung der USA während des Krieges gegen das Derg-Regime entwickelt hatte.
Heute ist Äthiopien im sogenannten „Krieg gegen den Terror“ ist Äthiopien zu einem wichtigen Partner des US-Imperialismus in der Region vom Horn von Afrika geworden. Unter der Führung der TPLF wurde in dieser Zeit außerdem ein Krieg gegen Eritrea geführt, aufgrund von Grenzstreitigkeiten. Auch der „ethnische Föderalismus“ hat es nicht geschafft die nationale Frage innerhalb von Äthiopien zu klären. Auch entwickelte sich vor allem aus der TPLF aber auch in der EPRDF eine Elite, welche nicht nur die politische, sondern auch die wirtschaftliche Macht in der Hand hatte.
Abiy Ahmed, der politische Kurswechsel und der Widerstand der TPLF
Die politische Kontrolle der EPRDF und TPLF begann ab 2015 immer weiter zu schwinden. Proteste, die sich gegen die beiden Organisationen richteten, wie beispielsweise den Protesten in der Oromo- und Amhara-Region, wurden brutal niedergeschlagen, es gab zahlreiche Tote. Mit dem Rücktritt von Hailemariam Desalegn als Ministerpräsident am 16. Februar 2018 begann der Machtverlust der TPLF innerhalb der EPRDF. Am 2. April 2018 wurde Abiy Ahmed zum Ministerpräsidenten ernannt. Er entließ viele politische Gefangene und stieß einen Friedensprozess an. Er führte außerdem ökonomische Reformen durch, welche vor allem ausländische Investitionen stärken sollten. Von den westlichen Staaten wurde er für viele zum Hoffnungsträger in der Region und bekam im Jahr 2019 für die Beendung des Konfliktes zwischen Äthiopien und Eritrea den Friedensnobelpreis. Er schien für die imperialistischen Staaten, wie die USA, aber auch für China, die ihre Präsenz in Afrika stärken wollen ein wichtiger Partner zu werden, der durch neoliberale Reformen die Möglichkeiten für Investitionen von ausländischen Firmen stärkte.
Der Westen freute sich, unter der neuen Regierung schritt die nationale Unterdrückung verschiedener Nationen jedoch weiter voran und es kam immer wieder zu gewaltsamen Konflikten mit Todesopfern zwischen verschiedenen Volksgruppen. Mit der Gründung der Prosperity Party (PP) 2019 als eine Vereinigung der ehemaligen Organisationen innerhalb der EPRDF außer der TPLF begann zudem zum einen, der Versuch die Macht der TPLF weiter zu schwächen und zum anderen, eine einheitlich äthiopische Partei zu schaffen und den „ethnischen Föderalismus“ als System zurückzubauen. Was sich entwickelte war eine nicht mehr von der TPLF dominierte Oligarchie, sondern eine gesamtäthiopische Oligarchie. Diese Entwicklungen führten zu dem Konflikt zwischen der TPLF und der Zentralregierung wie wir ihn heute kennen. Da die TPLF außerhalb von Tigray jegliche Machtposition verloren hatte und auch aufgrund des angestrebten Rückbaus des „ethnischen Föderalismus“ um weitere Machtverluste fürchten musste gingen sie in die Offensive. Der Konflikt verschärfte sich mit der Entscheidung der Zentralregierung die Wahlen 2020 aufgrund von der Corona-Pandemie zu verschieben. Die Regionalregierung in Tigray, also die TPLF führten die Wahlen trotzdem durch und erklärten, Abiy Ahmed nicht weiter als Ministerpräsidenten anzuerkennen. Diese Regionalwahl wurde wiederum von der Zentralregierung nicht anerkannt und die Präsenz des Militärs in der Tigray-Region wurde in den folgenden Wochen verstärkt.
Der Krieg beginnt
Der bewaffnete Konflikt begann dann am 3. November 2020 mit Angriffen tigrayischer Sicherheitskräfte auf Einheiten des äthiopischen Militärs in der Region. Die TPLF begründete das damit, dass sie die erhöhte Militärpräsenz als eine Vorbereitung für die Entmachtung der Regionalregierung in Tigray ansieht. Nach wenigen Wochen konnten die Kräfte der Amhara, Eritrea und Äthiopiens ein Großteil von Tigray und die regionale Hauptstadt Mekele erobern. Es folgte eine brutale Besatzung Tigrays, vor allem durch die eritreische Armee mit unzähligen Massakern und Kriegsverbrechen. Auch in anderen Teilen Äthiopiens kam es zu Repressionen gegenüber Tigray. Die TPLF zog sich in ländliche Gebiete zurück und führte einen Guerilla-Krieg. Zudem organisierte sie sich aufgrund von großem Zulauf neu als Tigray Defence Forces (TDF). Nachdem die TDF erfolgreich große Teile Tigrays zurückerobern konnte, zogen sich die Kräfte der Zentralregierung zurück und es wurde eine Blockade über Tigray verhängt. Die TDF setzte daraufhin ihre Offensive weiter fort und drang in die Amhara- und Afar-Regionen ein. Gleichzeitig verbündete sie sich mit verschiedenen anderen nationalen Befreiungsorganisationen, unter anderem der Oromo Liberation Army (OLA) und gründete das Bündnis United Front of Ethiopian Fedalist and Confederalist Forces (UFEFCF). Durch die Offensive konnte die TDF die meisten größeren Städte auf dem Weg zur Hauptstadt Addis Ababa erobern. Während ihrer Offensive verübte auch die TDF Massaker und Kriegsverbrechen in der Amhara- und Afar-Region. Hinzu kommt, dass durch den Krieg mehrere Millionen Menschen vertrieben wurden und sich insbesondere in der Tigray-Region eine Hungersnot ausbreitet, da diese Region von den meisten Hilfslieferungen abgeschnitten ist. Während die TDF im letzten Jahr große Gebietsgewinne machen konnte, wurde sie durch eine Gegenoffensive der äthiopischen Armee wieder zurückgedrängt und hat sich nach Tigray zurückgezogen. Die Lage hat sich derzeit stabilisiert. Von Seiten der TDF wurde eine Waffenruhe vorgeschlagen, die die Zentralregierung akzeptiert hat, da sie nicht in die Tigray-Region vordringen will und überlegt den Notstand zu beenden. Der Krieg ist aber noch nicht beendet, denn Zeit Jahresbeginn gibt es immer wieder Berichte von Drohnenangriffen innerhalb von Tigray.
Äthiopien im Spannungsfeld imperialistischer Interessen
Die Zentralregierung unter Abiy Ahmed sieht sich als den Akteur in diesem Konflikt an, der für die nationale Einheit Äthiopiens kämpft und sich gegen eine imperialistische Bedrohung stellt. Diese Ansicht wird vor allem von den verschiedenen Akteuren in der Amhara-Nation unterstützt, welche aufgrund ihrer vorherigen Vormachtstellung einen geeinten äthiopischen Nationalismus dem „ethnischen Föderalismus“ bevorzugen. Zudem wird von der Zentralregierung behauptet, dass die TPLF vom US-Imperialismus unterstützt wird. Sie verweist in ihrer Begründung auf die unzähligen Verbindungen, die die TPLF aus ihrer Regierungszeit in die aktuelle Regierung unter Biden hat. Es kann tatsächlich nicht abgewiesen werden, dass die USA die Interessen der TPLF durch verschiedene Erklärungen unterstützt hat. Besonders hervorzuheben sind hier die „Bemühungen“ der USA im Hinblick auf die Menschenrechtssituation vor Ort zu sehen. Innerhalb der US-Politik wurden vor dem Hintergrund des Konflikts immer wieder Stimmen nach Sanktionen und militärischen Interventionen laut, dies wäre vor allem für die TPLF von wichtiger Bedeutung, um ihre Machtstellung in Tigray und im gesamten Äthiopien zu stärken. Doch die angedrohten Sanktionen haben sich bisher nur gegen Eritrea gerichtet, dass eines der wenigen Ländern innerhalb von Afrika ist, dass nicht mit dem US-Imperialismus kooperiert. Bis zum Mai 2019 stand Eritrea zum Beispiel auch noch auf der Liste der Staaten, die nicht mit der USA im Antiterror-Kampf kooperieren und war bis zum Ende des Jahres 2018 von Sanktionen betroffen. Äthiopien ist für den US-Imperialismus wichtig, da es ein wichtiger Stützpunkt für die Kontrolle über das Horn von Afrika und die Welthandelsrouten ist. Die USA versucht sich deshalb als wichtige Kraft in den Konflikt einzumischen und so die eigene Stellung zu stärken und auszubauen. Die USA versucht so vor allem ihren Einfluss gegen den erstarkenden Einfluss Chinas in der Region zu verteidigen. Im Allgemeinen haben alle imperialistischen Kräfte von der neoliberalen Politik Abiys profitiert und konnten so die imperialistische Ausbeutung Äthiopiens stärken. Doch die USA hat die Sorge die eigene Stellung in der Region zu verlieren auch aufgrund der neuen Bündnispolitik Äthiopiens, die auch versucht die regionale Kooperation vor allem mit Eritrea zu stärken und sich so unabhängiger von dem US-Imperialismus zu machen. Davon profitiert vor allem China, die versuchen durch direkte Investitionen ihren eigenen Einfluss und ihre eigenen Profite zu stärken. Der chinesische Imperialismus profitiert somit eher von den Friedenszeiten und von der Regierung Abiys, weshalb China diese unterstützt. Der US-Imperialismus versucht in diesem Konflikt eher durch direkte Intervention seinen eigenen Einfluss zu stärken, so rufen zum Beispiel auch viele Stimmen in der US-Politik nach direkten Interventionen, die von Sanktionen bis zu einem Militäreinsatz reichen, dabei machen sie sich die Situation der Bevölkerung in Tigray während des Krieges zunutze. Doch die Politik richtet sich nicht primär gegen Äthiopien, besonders Eritrea ist Ziel und Betroffener der US-Sanktionen.
Dass die Regierung Abiys keine antiimperialistische Kraft ist, wie es sich selbst darstellt, zeigt sich klar an der Kooperation mit verschiedenen imperialistischen Staaten im Zuge der neoliberalen Wirtschaftspolitik. Die Regierung Abiys ist ein reaktionäre und chauvinistische, mit dem Imperialismus kooperierendes Regime. Dabei kooperiert Abiy aber nicht nur mit einer imperialistischen Kraft, sondern nimmt sich von allen Seiten das, was er bekommen kann. Besonders die USA und China stehen hier im Zentrum der imperialistischen Ausbeutung Äthiopiens. Die Regierung Abiys stellt die neue Bourgeoisie innerhalb Äthiopiens, der panäthiopische Nationalismus bildet die Grundlage ihrer Ideologie.
Kampf um nationale Selbstbestimmung? Nein.
Die TPLF stellt dabei im Gegensatz dazu einen Teil der alten Bourgeoisie da, welche von der neuen Bourgeoisie entmachtet wurde. Dabei vertritt die TPLF jedoch nicht nur einen Teil der alten Bourgeoisie, sondern sie vertritt auch die nationale Bourgeoisie Tigrays. Beide Gruppen überschneiden sich, da als die TPLF mit an der Regierung war, diese die führende Kraft darstellte und so vor allem die tigrayische Bourgeoisie profitierte. So ist die TPLF vor allem mit Ausbruch des Krieges und des massenhaften Beitritts von Menschen aus Tigray als Vertreter der tigrayischen Nation anzuerkennen. Jedoch handelt es sich bei dem Konflikt, wenn man sich seinen Ausbruch anschaut, nicht um einen Kampf für nationale Selbstbestimmung, sondern um einen Machtkampf zwischen der neuen und der alten Bourgeoisie. So hat es die Regierung Abiys geschafft die Macht der TPLF immer weiter zu beschränken und zu schwächen. Mit der Durchführung der Regionalwahlen wollte die TPLF vor allem ihre eigene Macht ausbauen. Auch der Angriff auf die Militärbasen stellt einen Versuch der TPLF dar, vor allem in Tigray die einzige politische Kraft zu sein und so eine feste und sichere Machtbasis zu entwickeln, wodurch die Zentralregierung eher angegriffen werden kann. Dass der Konflikt ein Machtkampf, ein reaktionärer Bürgerkrieg ist, zeigt sich auch daran, dass auf beiden Seiten Massaker an Angehörigen der verschiedenen Nationen ausgeübt werden. An den Angehörigen der Tigray-Nation durch die Soldaten der Zentralregierung, von Eritrea und die Amhara- und Afar-Milizen. Auch der anderen Seite wurden durch die TPLF Massaker an Angehörigen der Amhara- und Afar-Nation ausgeübt. Das zeigt auch deutlich, dass sich der Konflikt zwischen den verschiedenen Völkern in den letzten Jahren verschärft hat. Durch das von ihr angeführte Militärbündnis in diesem Konflikt, will die TPLF es vor allem schaffen die Regierung Abiys zu stürzen und auf Grundlage des „ethnischen Föderalismus“, der die Grundlage ihrer eigenen Macht ist, eine neue Regierung aufzubauen. Der „ethnische Föderalismus“ dient dabei nur als Mittel für die TPLF, um ihre Macht auszuüben und wird nicht die Konflikte zwischen den Völkern lösen. Jedoch muss auch anerkannt werden, dass die Durchführung der Regionalwahlen, ungeachtet ihrer Motive unter dem Aspekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker legitim ist und, dass auch der Widerstand, der nach Ausbruch des Krieges gegen die Besatzung Tigrays durch Eritrea und die Zentralregierung geleistet wurde unter diesem Aspekt legitim sind. Jedoch sind diese Aspekte immer Sachen, die von der TPLF genutzt werden, um sie für ihren Machtkampf mit der Zentralregierung zu nutzen. Zudem ist auch nicht zu leugnen, dass auch die TPLF keine antiimperialistische Kraft darstellt, da sie zum einen offen mit dem US-Imperialismus, während ihrer Regierungszeit kooperiert hat und zum anderen diese Beziehungen auch aktuell nutzt, um sich in diesem Konflikt einen Vorteil zu verschaffen.
Wie geht es weiter?
Wir erkennen, dass die Lage in Äthiopien eine sehr undurchsichtige ist, und dass hier auch ein eher kurzer Überblick und eine kurze Analyse zu der aktuellen Situation ist. Es lässt sich auch hieraus jedoch schon die grundlegende Dynamik aus diesem Konflikt herleiten und somit eine kommunistische, werktätige Herangehensweise an den Konflikt aufzeigen.
Zuallererst ist festzuhalten, dass es sich bei Äthiopien um einen Vielvölkerstaat handelt, weshalb die nationale Frage eine sehr zentrale Frage des Klassenkampfes in Äthiopien darstellt. Die Auseinandersetzung um das Selbstbestimmungsrecht der Völker spielt auch heute eine wichtige Rolle in der äthiopischen Politik. Aus diesem Grund müssen wir das Selbstbestimmungsrecht der verschieden Völker anerkennen und als demokratische Forderung verteidigen. Doch in diesem Konflikt ist die Frage nach nationaler Selbstbestimmung nicht die entscheidende Frage, sondern sie wird von beiden Seiten genutzt, um entweder Legitimität zu gewinnen oder der anderen Seite diese abzusprechen. Bei dem Konflikt handelt es sich um einen Machtkampf, um einen reaktionären Bürgerkrieg zwischen der alten Bourgeoisie, repräsentiert durch die TPLF, und der neuen Bourgeoisie, repräsentiert durch die aktuelle Regierung der PP. Dass es sich um einen reaktionären Bürgerkrieg handelt, zeigt sich durch die vielen Massaker auf beiden Seiten aufgrund der nationalen Zugehörigkeit. Zudem ist auch festzuhalten, dass beide Seiten keine antiimperialistischen Kräfte darstellen, da beide Seiten mit imperialistischen Staaten kooperieren. Die imperialistischen Staaten versuchen dabei durch diesen Konflikt mehr Einfluss in der Region zu gewinnen.
Das bedeutet, dass wir uns gegen den aktuellen Krieg als einen reaktionären Bürgerkrieg stellen müssen, er jedoch in den Phasen, wo Tigray besetzt war, als ein Kampf gegen nationale Unterdrückung anzusehen war und in dieser Phase als legitim anzusehen ist. Wir müssen uns gegen den „panäthiopischen“ Chauvinismus stellen, der das Selbstbestimmungsrecht der Völker leugnet und dieses Recht als eine demokratische Forderung verteidigen. Wir müssen uns gegen den Versuch der imperialistischen Staaten, vor allem der USA stellen, sich in Äthiopien und im Horn von Afrika einzumischen. Weder die TPLF noch die Zentralregierung stellen eine fortschrittliche Kraft da, der unsere Unterstützung gelten sollte. Stattdessen sollten wir den Kampf der unterdrückten Völker und der werktätigen Massen für ihre demokratischen Rechte unterstützen. Das bedeutet zum einen, wenn sich eine Nation für ihr Recht auf Loslösung entscheiden würde, dies zu akzeptieren, sei es zum Beispiel die Tigray-Nation oder die Oromo-Nation. Gleichzeitig müssen wir auch offen erkennen, dass sich die nationale Frage nur lösen lassen wird, wenn die Freundschaft der Völker und der freiwillige Zusammenschluss der Völker in Äthiopien und der Region verwirklicht wird. Dafür wird es nicht nur nötig sein dies innerhalb von Äthiopien zu verwirklichen, sondern in der Gesamtregion vom Horn von Afrika, da die verschiedenen Völker sich über mehrere Grenzen erstrecken, die einst von den Kolonialisten gezogen wurden. Deshalb sollten wir zum einen den Kampf der Bevölkerung gegen den aktuellen Krieg unterstützen, der nur zur Last der werktätigen Massen in Äthiopien und Eritrea geführt wird und zum anderen, den demokratischen Kampf der Völker und der werktätigen Massen unterstützen. Das Ziel sollte es sein die Freundschaft der Völker zu stärken und der eine demokratischen Föderation am Horn von Afrika, in alle Völker freiwillig und gleichberechtigt zusammenleben, zum einen als wirksames Mittel gegen den Imperialismus und als ersten Schritt in Richtung sozialistische Revolution in der Region, zu errichten.