Es ist ein schöner sonniger Tag im Juni, zusammen mit deinem Freund läufst du durch die Straßen und ihr genießt das Wetter. Euch fällt auf, dass ihr heute plötzlich überall Regenbogenfahnen seht. Das ist nichts Ungewöhnliches mehr, dass Menschen die Regenbogen-Fahne von ihrem Balkon hängen oder, dass Bars sie aufhängen, um zu zeigen, dass LGBTI+-Menschen willkommen sind. Doch seit einiger Zeit fangen immer mehr Unternehmen an diese Fahne aufzuhängen, oder ihr Logo zu ändern, sodass es jetzt regenbogenfarbend ist. Ihr freut euch darüber, dass die LGBTI+-Community mittlerweile so viel Akzeptanz bekommt; vor ein paar Jahren wäre so ein buntes Stadtbild noch nicht denkbar gewesen. Du bist froh darüber, dass LGBTI+ Personen heute in Deutschland akzeptiert sind und auch ihre Identität frei ausleben können. Aber ganz so frei ist es doch nicht, wenn du genauer drüber nachdenkst. Erst gestern Abend in der U-Bahn wurden du und dein Freund komisch angeguckt, nur weil ihr Händchen gehalten habt, und ihr habt euch danach sehr unwohl gefühlt.
LGBTI+-Personen werden in Deutschland oder Europa scheinbar akzeptiert. Diese offene Haltung wollen uns auch immer mehr Politiker:innen oder auch große Unternehmen verkaufen. Aber in Wirklichkeit sind es die selben Politiker:innen, die zum Beispiel trans Menschen durch das sogenannte „Transsexuellengesetz“ jahrelang das Leben schwer gemacht haben. Oder Firmen wie Volkswagen, die ihr Logo passend zum Pride Month ändern. Allerdings nicht in allen Ländern; denn zum Beispiel in Ungarn oder den Vereinigten Arabischen Emiraten würde das sicher nicht gut ankommen. Das zeigt mehr als deutlich, dass Großkonzerne erkennen, dass LGBTI+-Personen eine potenzielle Zielgruppe sind, die sie mit billigen Marketingstrategien versuchen anzulocken. Dort wo man das Thema nicht zur Profitmaximierung nutzen kann, wird es einfach ignoriert, denn wirkliche Werte stecken bei solchen Konzernen natürlich nicht dahinter. Trotzdem sehen wir, dass sich die Gesellschaft, vor allem hier in Europa, verändert und fortschrittlicher wird. Die Ehe zwischen homosexuellen Paaren ist in Deutschland nach langem Kampf endlich möglich. Ja sogar das „Transsexuellengesetz“ soll nun abgeschafft werden. Einige Reformen, die den Weg hin zur Selbstbestimmung vereinfachen. Ist der Kampf jetzt vorbei?
Nein, sicherlich nicht. Auch wenn sich die rechtliche Lage von LGBTI+-Personen in Deutschland immer weiter verbessert, sind wir noch lange nicht am Ende des Kampfes angekommen. Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans und inter Personen werden in Deutschland immer noch diskriminiert und sind häufig alltäglicher Gewalt ausgesetzt. Es fängt mit komischen Blicken an, geht weiter mit Pöbeleien oder Beleidigungen, und endet nicht selten mit körperlicher Gewalt. Im Jahr 2021 ist die Zahl der gemeldeten Hassverbrechen gegen LGBTI+-Personen um 39% gestiegen. Der Kampf ist also wirklich alles andere als vorbei. Das zeigt sich auch an dem immer größer werdenden Bedürfnis von LGBTI+-Personen sich zu vernetzen, zu organisieren, Widerstand zu leisten und ihren Kampf politisch zu führen. Diesen aufflammenden Widerstand können wir gerade in allen Winkeln der Welt wiederfinden. Vor allem an den Orten, wo es am schwierigsten ist, selbstbestimmt zu leben.
Ein Blick nach Ungarn
Im letzten Jahr war Ungarn, hier in Deutschland, immer wieder in den Medien präsent. Ein bestimmendes Thema dabei war, dass ein neues Gesetz beschlossen wurde. Dieses Gesetz soll verbieten, dass minderjährige Zugang zu aufklärender Bildung bezüglich LGBTI+ bekommen. Auch Werbung, in der Homosexualität dargestellt wird, soll in Ungarn verboten werden.
Die Lage in Ungarn für LGBTI+-Personen war noch nie gut. Das Land war schon immer sehr konservativ geprägt. Erst in den 60er Jahren wurden homosexuelle Beziehungen entkriminalisiert. Davor wurden sie mit Freiheitsstrafen bestraft. Allerdings nur bei Beziehungen zwischen zwei Männern. In den 90er Jahren sind gleichgeschlechtliche Beziehungen in Ungarn offiziell erlaubt wurden. 2009 wurden, unter einer damals liberalen Regierung, eingetragene Lebenspartnerschaften erlaubt. Mit dem Eintritt des Landes in die EU 2004 und den damit geltenden Antidiskriminierungsgesetzen, gab es also in den folgenden Jahren einige Reformen. 2010 kam schließlich der Regierungswechsel und seitdem ist Viktor Orbán als Ministerpräsident an der Macht. Seine Partei Fidesz (nationalkonservativ, rechtspopulistisch) regierte nun in einem Bündnis mit der KDNP („christlich-demokratische“ Partei). Diese neue Regierung hatte die Zweidrittelmehrheit im Parlament und somit die Möglichkeit die ungarische Verfassung zu ändern. Durch die Änderungen, die verabschiedet wurden, wurden viele der Reformen wieder zurückgenommen. Die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren wurde in Ungarn wieder offiziell verboten.
Es ist kein Einzelfall, dass rechte Parteien alles dafür tun, die Rechte von LGBTI+-Personen massiv einzuschränken und sie somit auch aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Rechte suchen sich ständig Feindbilder, um gegen sie zu hetzen. Und nach dem die Flüchtlingsthematik in Ungarn an Aktualität verloren hat, brauchte die Regierung dringend ein neues Feindbild, um von den eigentlichen Problemen des Landes, wie dem kaputten Gesundheitssystem oder der Korruption, abzulenken. LGBTI+-Personen sind so wieder ins Visier der reaktionären Regierung geraten. So ist es vor allem das Ziel von Orbán die konservative Wählerschaft an sich und seine Partei zu binden. 2021 wurde schließlich der Gesetzesentwurf veröffentlicht, über den in allen europäischen Medien berichtet wurde. Bereits vorher wurden schon vor allem die Rechte von trans Menschen enorm eingeschränkt, sodass offizielle Änderungen des Geschlechtseintrags oder des Namens unmöglich geworden sind, und auch Hilfsangebote für junge trans Menschen sind in Ungarn dadurch kaum zugänglich. Gerechtfertigt werden diese Menschenrechtsverletzungen mit dem angeblichen Schutz von Kindern. Wie es auch in der Vergangenheit schon oft der Fall gewesen ist, wird unter anderem Homosexualität mit Pädophilie gleichgesetzt.
In den bürgerlichen Medien hat man vor allem von Kritiken der EU an Ungarns Politik gehört. Es gab Sanktionen gegen Ungarn und auch gegen Polen, wo es ganz ähnliche, rückschrittliche Entwicklungen gibt. Aber all das verlief wie immer im Sande. Viel wichtiger ist aber der Widerstand in Ungarn selbst, der Widerstand der LGBTI+-Personen. Nach dem Gesetzesentwurf hat die größte Pride-Demo in der Hauptstadt Budapest stattgefunden, und immer wieder gibt es Proteste von LGBTI+-Personen, die zeigen, dass sie die Politik Orbáns nicht akzeptieren werden. An diesem Sonntag sind Parlamentswahlen in Ungarn. Da sich alle Oppositionsparteien gerade gegen die aktuelle Regierung zusammenschließen, gibt es Hoffnungen, dass es einen Machtwechsel im Land geben wird. Allerdings ist es klar, dass Viktor Orbán seine Macht nach über zehn Jahren nicht einfach so abgeben wird. Selbst für den Fall, dass er die Parlamentswahlen verlieren sollte, hat er sich abgesichert. In diesem Jahr ernannte Orbán Katalin Novák zur neuen Staatspräsidentin, die ihm in Sachen Homofeindlichkeit in nichts nachsteht. Das heißt, selbst wenn es einen Regierungswechsel geben wird, hat sie weiterhin die Macht Gesetze und Verfassungsänderungen zu blockieren. Deswegen ist es umso wichtiger, dass sich die LGBTI+-Personen in Ungarn organisieren und aktiven Widerstand leisten!
LGBTI+ Rechte in Ghana
Dass die Sicherheit von LGBTI+-Personen auf der ganzen Welt bedroht ist, ist kein Geheimnis. Ein Land, dass diesbezüglich weniger öffentliche Aufmerksamkeit bekommt ist Ghana; doch gerade hier ist es für LGBTI+-Personen fast unmöglich ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Und das obwohl, Ghana als „Vorzeigedemokratie in West-Afrika“ gilt. Was hierbei für die imperialistischen Mächte wie Deutschland von Bedeutung ist, ist, dass Ghana sich an westlichen Werten hinsichtlich der Wirtschaft orientiert und ein zuverlässiger Handelspartner ist. Wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht, ist Deutschland beziehungsweise die EU lieber still. Dabei ist es nicht abzustreiten, dass die homo- und transfeindlichen Gesetze in Ghana noch aus der Kolonialzeit stammen. Sexuelle Handlungen zwischen Männern stehen in Ghana unter Strafe, auch wenn dieses Gesetz seit 1960 nur noch selten angewandt wird. Auf diese Tatsache hat sich 2021 auch die Bundesregierung bezogen, um zu rechtfertigen sich nicht weiter zu der Lage der LGBTI+-Rechte in Ghana zu äußern, nachdem eine Anfrage von der Opposition gestellt wurde. Tatsächlich verschlechtert sich die Situation von LGBTI+-Personen immer weiter. Ein zentrales Ereignis war die Eröffnung eines LGBTI+-Zentrums in der Hauptstadt Accra. Kurze Zeit nach der Eröffnung wurde dieses von der Polizei gestürmt, mehrere Aktivist:innen wurden verhaftet und waren wochenlang in Gewahrsam. Danach begann die Hetze in den ghanaischen Medien. Fotos und Namen von Aktivist:innen der Organisation LGBT+ Rights Ghana wurden in lokalen Medien verbreitet, um sie öffentlich anzuprangern.
Es folgte im Sommer ein neuer Gesetzesentwurf als Antwort auf die Geschehnisse in Accra. Dieses sieht vor alles außerhalb der heterosexuellen Norm zu kriminalisieren und aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Laut diesem neuen Gesetz können LGBTI+ Personen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden; selbst Händchenhalten oder eine Umarmung können dabei reichen. Auch alle Personen, die sich öffentlich für LGBTI+-Recht einsetzen, seien es Aktivist:innen oder Journalist:innen, werden kriminalisiert und es drohen Haftstrafen bis zu zehn Jahren. Außerdem wären alle Menschen verpflichtet ihre Freund:innen, Verwandten oder Koleg:innen zu outen und bei den Behörden zu melden. Neben den juristischen Strafen hätte so ein Zwangsouting auch eine verpflichtende Konversionstherapie (Foltermethode um LGBTI+ Personen zu zwingen ihre Sexualität/Geschlechtsidentität zu unterdrücken oder zu verändern) zur Folge, eine eindeutige Menschenrechtsverletzung.
Stonewall was a riot, we will not be quiet!
Es gibt noch viel mehr Beispiele als Ghana und Ungarn, die zeigen, dass LGBTI+-Personen bedroht sind. Überall auf der Welt müssen LGBTI+-Personen um ihre Sicherheit oder sogar um ihr Leben fürchten. Das sehen wir gerade auch ganz aktuell in der Ukraine, wo trans Frauen, die ihren Geschlechtseintrag nicht ändern können und vom Staat somit als Männer gesehen werden, nicht ausreisen können. Oder auch hier in Deutschland, wo die Gesetze sich ändern und LGBTI+-Personen nicht kriminalisiert werden, aber verbale oder körperliche Gewalt Alltag für viele LGBTI+-Personen ist. Obwohl Deutschland sich als so fortschrittlicher und toleranter Staat präsentieren will, überall Pride Fahnen hängen oder eine trans Frau als Abgeordnete im Bundestag sitzt, sind LGBTI+-Personen bedroht. Und das wird sich nicht ändern, indem die Regierung noch mehr Gesetze verabschiedet oder indem noch mehr Regenbogen-Fahnen aufgehangen werden. Die LGBTI+-Feindlichkeit ist tief verankert im bürgerlichen, kapitalistischen System, dass auf der ganzen Welt herrscht. Deswegen lasst uns am 31. März, dem Trans Day of Visibility, oder im Juni zu Stonewall auf die Straßen gehen und zeigen, dass die LGBTI+-Bewegung widerständig ist und sich nicht mit der aktuellen Situation abfinden wird. Die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte sind nicht vom Himmel gefallen, sondern wurden hart erkämpft, angefangen bei den Stonewall-Aufständen 1969 bis heute. Und diesen Kampf gilt es weiterzuführen, überall auf der Welt!