Jiyan Tolhildan, Roj Xabûr und Barîn Botan, drei Frauen, Komandant:innen der YPJ und Kämpfer:innen für eines befreites Leben, sie alle drei wurden am 22. Juli auf dem Rückweg von der Frauenkonferenz anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Frauenrevolution durch einen türkischen Drohnenangriff getötet. Zwei Tage zuvor, am siebten Jahrestag des Suruç-Massakers, feuerte die türkische Armee Artillerie auf einen Picknickplatz in Zaxo. Sieben Menschen starben, über 20 wurden verletzt. Die Toten allesamt Tourist:innen und Zivilist:innen, unter ihnen kleine Kinder wie die einjährige Zahra oder die zwölfjährige Sara. Und dann immer und immer wieder, jeden Tag aufs Neue: Luftangriffe auf Dörfer, Vergewaltigungen, Giftgas- und Drohnenangriffe. Seit einigen Wochen hat die türkische Armee unter den schützenden Augen der NATO ihre Angriffe gegen die kurdische Bevölkerung fortgesetzt und weiter intensiviert.
Krieg in der Ukraine als Chance
Während seit Februar die ganze Welt den Blick in die Ukraine richtet sieht Erdogan den dortigen Krieg zum Einen als Chance, sich selbst international besser zu stellen und zum Anderen, die türkischen Interessen, besonders die weitere Unterdrückung der Kurd:innen, durchzusetzen.
Im Rahmen des Krieges und der von EU und USA heraufbeschworenen Gefahr Russlands begann eine neue Debatte über die Rolle der NATO. Die Stoßrichtung der Diskussion war dabei von Beginn an klar: Die NATO sollte personell gestärkt und nach Osten gegenüber Russland gestärkt werden. Die Debatte begann übrigens nicht erst mit dem Ukraine-Krieg, schon vorher wurden vor dem Hintergrund des steigenden wirtschaftlichen und militärischen Einfluss Chinas Pläne gemacht die Aufrüstung und weitere Militarisierung des NATO-Kriegsbündnis voranzutreiben. Der Krieg bot die perfekte Grundlage den Menschen die Notwendigkeit der weiteren Stärkung der NATO vorzugaukeln. Und so wurden schnell Nägel mit Köpfen gemacht: Vergrößerung der Eingriffstruppe von 40.000 auf 300.000 Soldaten, mehr Waffen, weitere Truppenstationierung in Osteuropa und vieles mehr. Für die Türkei relevant war vor allem ein Punkt: Anfang Mai haben die beiden, vorher neutralen Länder Schweden und Finnland einen Antrag auf Aufnahme in der NATO gestellt. Die beiden Länder haben bereits vor dem Beitritt immer wieder mit NATO-Ländern kooperiert und gemeinsame Übungen abgehalten, von einem Großteil der Mitglieder gab es also keine Einwände gegen den Beitritt, mit einer Ausnahme: Der Türkei. Sie legte, mit der Begründung die beiden Länder würden die PKK unterstützen, ein Veto gegen den Beitritt ein. Für die Zustimmung zum Beitritt forderte Erdogan unter anderem die Auslieferung von mehr als 30 Personen, eine „volle Unterstützung“ der Türkei im Kampf gegen die PKK und die YPG, eine Aufhebung des Waffenembargos gegen die Türkei und die Verschärfung der „Antiterrorgesetze“. Etwa einen Monat dauerte es, dann beschlossen die Länder kurz vor dem NATO-Gipfel in Madrid die Forderungen anzunehmen. Für kurdische Aktivist:innen in Finnland und Schweden wird jetzt, wie in vielen anderen Ländern, eine neue Welle der Repression für ihren gerechtfertigten Widerstand gegen den türkischen Faschismus und die Selbstbestimmung ihres Volkes zukommen.
Doch nicht nur in der Frage der Repression gegen Kurd:innen in der Diaspora befindet sich Erdogan durch den Krieg in der Ukraine in einer guten Position seine Interessen durchzusetzen. Der seit Jahren andauernde Angriffskrieg in Rojava/Nordsyrien, der sich vor allem gegen die dortige Selbstverwaltung und das dort lebende kurdische Volk richtet, wird im Schatten des Ukrainekrieges neu befeuert. Erdogan und der türkische Staat stellen sich derzeit als die Vermittler zwischen Russland und der Ukraine dar. Von Beginn an wurden viele Gespräche durch die Türkei beobachtet und begleitet, zuletzt ließ sich Erdogan dafür feiern, dass er angeblich dafür verantwortlich sei, dass nun Schiffe mit Getreide aus ukrainischen Häfen auslaufen konnten. Die Türkei, die durch ihren Status als NATO-Mitglied, ohnehin enge militärische, aber auch wirtschaftliche Beziehungen zu den imperialistischen Zentren des „Westens“ pflegt, befindet sich durch die Vermittlerrolle im Konflikt von Ukraine und Russland in einer zusätzlichen Machtposition. Erst vor kurzem kündigte Erdogan an, erneut in Nordsyrien einzumarschieren und die Revolution anzugreifen. Um ein Okay dafür zu bekommen, traf sich Erdogan mit Joe Biden und zuletzt auch mit Wladimir Putin. Beide haben zwar gesagt, dass ein türkischer Angriff zu einem Widererstarken des sogenannten IS führt und davon abgeraten, eine klare Distanzierung oder gar ein Abbruch der Beziehungen mit dem Land lösten die Drohungen jedoch nicht aus. Im Gegenteil: Sowohl beim Treffen mit Putin als auch mit Biden wurden neue Deals geschlossen und die zukünftige Zusammenarbeit gestärkt. Beim Gespräch mit Putin wurde der Türkei die weitere Vermittlerrolle gesichert und neue Wirtschafts- und Energieverträge geschlossen, beim Treffen mit Biden vereinbarten die beiden, dass die amerikanischen F-16 Kampfjets, mit denen die Türkei Kurdistan angreift, modernisiert und aufgerüstet werden. Und auch nach dem Gespräch mit Putin und dem iranischen Präsidenten machte Erdogan seine Ambiti
onen klar: „Von Euch Freunden hören wir immer wieder, dass Ihr die Sicherheitsbedenken der Türkei würdigt. Dafür bin ich auch dankbar. Aber Worte allein heilen keine Wunden. Dass die Terrororganisationen PKK und YPG mindestens 30 Kilometer Abstand zur türkischen Grenze halten, ist eine Voraussetzung, die vor einiger Zeit vereinbart wurde.“ Trotz der Einwände von USA und Russland will Erdogan in Nordsyrien einmarschieren, um dort einen 30 Kilometer breiten Streifen der Besatzung zu installieren, die politische Praxis der Länder zeigt, dass die Türkei auch bei einer Invasion keine ernsthaften Konsequenzen zu befürchten hat.
Dem türkischen Faschismus die Grundlage rauben – Rojava verteidigen!
Erdogans Pläne sind klar und offen kommuniziert, seit Monaten schon nehmen die Angriffe auf Rojava zu. Dabei werden fast täglich Dörfer mit Kampfjets oder Killerdrohnen aus der Luft bombardiert, immer häufiger kommt es dabei auch zu Giftgasangriffen. Der Start einer großangelegten Invasion ist nur noch eine Frage der Zeit. Die von Erdogan geplante Besatzung fast aller großen Städte Rojavas würde auch die Errungenschaften der demokratischen Revolution in Gefahr bringen. Für eine Befreiung aller unterdrückten im Nahen und Mittleren Osten ist es unsere Pflicht als Sozialist:innen Rojava und das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu verteidigen. Dazu gehört nicht nur uns weiterhin solidarisch mit den kämpfenden Menschen, die Tag für Tag dem Faschismus die Stirn bieten, zu zeigen, sondern die Kriegstreiber und deren Unterstützer auch hier anzugreifen.
Die deutsche Regierung liefert trotz der sogenannten „feministischen Außenpolitik“ weiterhin Waffen in die Türkei mit denen diese dann die Frauenrevolution vernichten will. Auch wenn Annalena Baerbock sich auf der Pressekonferenz mit einem großen Theater gegen den türkischen Außenminister gestellt hat ist Deutschland doch immer noch der wichtigste Handelspartner der Türkei und sind auch hier Erdogans Handlanger, wenn es darum geht kurdische Aktivist:innen zu verfolgen. Das zeigt der Besuch des Generalbundesanwalts Peter Frank Anfang Juli bei dem er sich mit Erdogan höchstpersönlich traf, das zeigen aber auch die zahlreichen politischen Gefangenen und die laufenden Verfahren wegen §129b mit denen der kurdische Widerstand weiter kriminalisiert wird. Deutschland steht Seite an Seite mit dem faschistischen Staat und liefert die Unterstützung, die er für seine imperialistischen Pläne braucht.
Gegen den türkischen Faschismus und für die Verteidigung der Revolution zu kämpfen, heißt auch den deutschen Staat anzugreifen! Bijî Berxwedana Rojava! Hoch die internationale Solidarität!