Ein Jahr ist es nun her, dass die Kurdin Jina Amini von dem islam-politischen faschistischen iranischen Staatskräften ermordet wurde, weil sie ihr Haar nicht vorschriftsmäßig bedeckte. Der Tod der jungen Frau war ein Tropfen auf dem heißen Stein, der eine neue Qualität der aufständischen Massen hervorrief. Frauen protestierten im ganzen Land, verbrannten ihre Kopftücher und Schnitten ihre Haare ab. Die werktätigen Massen schlossen sich mit General-, Regional- und Lokalstreiks an und hielten damit das Feuer des Aufstands am lodern. Aus den Frauenrevolten wurde ein revolutionärer Volksaufstand, aus dem Aufstand eine Revolution. Aber wie kam es zu dieser Revolution? Und wer sind die kämpfenden Subjekte auf der Straße?
1 Jahr nach der Ermordung – 1 Jahr Revolution im Iran
Das imperialistische, kapitalistische System steckt heute in einer existenziellen Krise. Das bedeutet, dass die Herrschenden keine Perspektiven für die Zukunft geben können, weder für die Erhaltung des Kapitalismus, noch für das Volk, für die Frauen, Kinder und Jugendlichen. Die einzige Möglichkeit der Monopolbourgeoisie ist die gesteigerte Ausbeutung der werktätigen Massen. Arbeitslosigkeit, sich immer weiter zuspitzende Armut und Hunger unter der Bevölkerung sind die Folge dessen. Besonders trifft das die Finanz- und Wirtschaftskolonien, in denen die Weltmonopole Arbeitskräfte so billig wie möglich auf menschenunwürdige Weise ausbeuten können. Und während sich die Widersprüche immer weiter zuspitzen, steigt die Unterdrückung, Repression und Folter gegen das werktätige Volk, gegen die Frauen und Jugendlichen. Die Repression und Niederhaltung der Massen stehen mit der verschärften Ausbeutung in einem Verhältnis. So zeigt sich dies auch im Mittleren Osten.
Im September letzten Jahres spitzen sich die sozialen und politischen Widersprüche so zu, dass die Wut der Unterdrückten nach der Ermordung der jungen Kurdin den revolutionären Keim zum Blühen brachte
Die Frauenrevolte im Land ist der Funke, der das Feuer der Revolution der Würde und Freiheit des Volkes entfachte. Das herrschende Mullah-Regime hat schon lange seine Legitimität im Volk verloren, es kann nicht mehr so herrschen wie zuvor. Gewalt, Repression und Verschärfung der patriarchalen Machtstrukturen sind die Folge. Auf der anderen Seite gibt es für die werktätigen Massen und unterdrückten Völker im Land keine Perspektiven mehr. Sie können unter den Bedingungen von steigender Arbeitslosigkeit, Armut, Hunger und Gewalt nicht mehr weiter leben.
Dass der Funke also das Potenzial hat, den sich entwickelten Volksaufstand, in eine Revolution zu wandeln, zeigt sich in drei Aspekten:
- In dem Bewusstsein der Unterdrückten und in der Entschlossenheit den Staat und das faschistische Mullah-Regime zu stürzen;
- In der radikalen Verbreitung, die wie eine Welle über das Land rollte und die Kämpfe um geschlechtliche, koloniale und politische Befreiung miteinander verbindet;
- Und in der Radikalität und Militanz der Revolten und Aktionen, die nun seit einem Jahr im Gange sind.
Jin, Jiyan, Azadi – Frauen an vorderster Front
Dass die Frauen die Vorhut der sich entwickelten Revolution bilden, ist kein Zufall. Im 21. Jahrhundert, unter den Bedingungen der imperialistischen Globalisierung, hat sich auch der Geschlechterwiderspruch mehr denn je verschärft. Dieser Widerspruch wurde im Iran zum „schwächsten Glied“ und somit die Frau zur treibenden Kraft der Freiheitskämpfe. Das faschistische Mullah-Regime ist ideologisch geschwächt und hat seine Legitimität verloren, es führt einen Krieg gegen Frauen und LGBTI+, um seine Ideologie zu reproduzieren und zu stärken. Denn auch sie haben die revolutionäre Dynamik der Frauen erkannt. Die misogynen Staatsideologie konfrontiert Frauen mit steigender Armut, Gewalt und Rechtlosigkeit; sie werden versklavt, in die Haushalte gedrängt und isoliert. Ein Blick in die aufständige Geschichte des Irans reicht, um zu sehen, dass iranische Frauen eine Tradition des Widerstandes und dass sie viele Revolutionen und Umbrüche erlebt und angeführt haben. Frauen organisierten Massenproteste und Streiks, in denen sie Arbeitsproteste mit Forderungen für körperliche Selbstbestimmung vereinten, sie protestierten gegen Preissteigerungen und gleichzeitig gegen das islamisch-politische Regime und dessen Entmenschlichungen, organisierten sich militärisch und kämpften auf allen Ebenen gegen die männliche Gewalt und Vorherrschaft. So wie heute waren in den Jahren 1991, 2009, 2017, 2018, 2019 und 2020 die Frauen die dynamischste Kraft in den Aufständen und Revolten. Wie auch in Rojava haben die iranischen Frauen erkannt, dass die Kämpfe um körperliche Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Freiheit mit dem Kampf gegen das Herrschaftsregime verbunden werden müssen. In Rojava ist die Frauenrevolution eine der Hauptsäulen, auf denen die gesellschaftliche Revolution aufbaut, die mit ihrem Programm eine echte Gleichstellungsrevolution mit der Perspektive der Frauenbefreiung durchführt. Frauen organisieren die Hälfte der Revolution, auf politischer, militärischer, theoretischer und sozialer Ebene und sind damit eine kraftvolle Dynamik zur Zerschlagung der grundlegenden materiellen, gesellschaftlichen Ursprünge ihrer Unterdrückung und Ausbeutung. So wurde die Befreiung der Frau in Kurdistan zum Synonym für die Befreiung der Werktätigen, Unterdrückten und kolonisierten Völker.
Gleichzeitig haben die Frauenrevolten ein hohes Potenzial der Internationalisierung durch Frauensolidarität, die sich über die Grenzen und Meere hinweg organisiert. Immer mehr Frauen werden sich ihrer geschlechtliche Unterdrückung bewusst und durch die Frauen in den ersten Reihen der Revolution, wird ihnen einen Weg offenbart, sich gegen die Unterdrückung zu wehren. So wurde die Parole „Jin, Jiyan, Azadi“ zu einem Motto, die von Rojava, über Rojhilat und dem Iran hinweg, die Frauenkämpfe mit den antiimperialistischen Kämpfen der unterdrückten Völker verbindet.
Kurdistan wird das Grab des Faschismus sein – Kurdisches Nationalbewusstsein
Jina Amini war eine kurdische Frau. Dass das Epizentrum der Revolution sich in Rojhilat/Kurdistan befindet ist also kein Zufall. Die Widersprüche zwischen persischem Kolonialismus auf Grundlage der faschistischen Mullah-Regimes und dem nationalem Freiheitswillen des kurdischen Volkes bilden das zweite „schwächste Glied“, welches die revolutionäre Situation befeuert. Der iranischen Regierung ist das kurdische Nationalbewusstsein jeher ein Dorn im Auge, Kurd:innen werden unterdrückt, ihre Kultur verboten und sie werden zu Assimilierung gedrängt. Denn sowohl in der Türkei, in Syrien, im Irak oder im Iran – es ist das kurdische Volk, welches die unermüdliche Quelle des widerständigen Geistes darstellt. Durch den Widerstandswillen breitete sich die Vereinigung des Klassen- und Geschlechterkampfes in über 170 Städten aus und führt von Mashhad und Qom, den politisch-islamischen Hochburgen, die die Basis des Regimes bilden, bis Tabris, von Teheran bis in die Städte von Rojhilat. Gerade in Tabris ist die politische Lage seit vielen Jahrhunderten durch koloniale Interessen angespannt. Die türksprachige Stadt im Norden Irans, die einst vom Osmanischen Reich erobert wurde, bildet ein Zentrum des aserbaidschanischen Volkes im Iran und ist seit den Aufständen 2009 gegen das Mullah-Regime ein wichtiges Zentrum der Revolten. Hier schließen sich verschiedenste unterdrückte Völker unter dem Ruf nach Freiheit zusammen. Kurz nach der Ermordung der jungen kurdischen Frau, beteiligten sich mehr als 7 Millionen Menschen im Land an Protesten und militanten Aktionen; zehntausende Menschen wurden verhaftet, gefoltert und hingerichtet. Die Tatsache, dass trotz der Repression, Folter und Hinrichtungen die Aufstände nicht erstickt werden konnten und immer mehr – vor allem junge Kurd:innen – sich in dieser Revolution als politisches Subjekt begreifen, zeigt, wie weit und militant sich das kurdische Nationalbewusstsein und der Kampf gegen das koloniale Joch ausbreitete. Parolen wie “Kurdistan wird das Grab de Faschismus sein!“ tönen durch die Städte Rojhilats und hallen wir ein Echo durch das ganze Land.
Der unermüdliche Kampfgeist der Kurd:innen gegen das koloniale Joch und ihre Unterdrücker, hauchte auch anderen unterdrückten Völkern im Iran den militanten Willen des Widerstandes ein und zeigt nach der Revolution in Rojava einmal mehr das Potenzial der Kurden als treibende Kraft des Widerstandes. Darüber hinaus verstärken sich die Kämpfe der unterdrückten Nationen gegenseitig, wenn sie sich im Kampf zusammenschließen. So erlangte zum Beispiel der Kampf des belutschischen Volkes, das ebenso gegen das Regime mobilisiert, neuen Aufwind durch den Zusammenschluss und wurde zu einer relevanten Kraft im Freiheitskampf.
Regionale Revolutionen sind die Tore zur Weltrevolution
Das in vier Teile zersplitterte Kurdistan ist zu einem riesigen, revolutionären Pulverfass geworden, welches sowohl die imperialistische Ordnung in der jeweiligen Region als auch die reaktionären nationalistischen Diktaturen bedroht. Die Revolution in Rojava, aber auch die Widerstände in Bakur, Başûr und nun Rojhilat – all diese Entwicklungen zeigen, die dialektische Verbundenheit der Teile Kurdistans und wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Wenn wir dem Faschismus, Kolonialismus und Imperialismus ein Ende setzen wollen, müssen wir den Kapitalismus vollständig liquidieren. Die kommunistische Bewegung erkennt deshalb die Notwendigkeit einer vereinten Revolution, in der die Unterdrückerstaaten Türkei, Irak, Syrien und Iran aufgelöst und neue Staaten auf Grundlage nationaler Gleichheit geschaffen werden müssen.
Die Entwicklungen im Iran zeigen, wie sich alle Unterdrückten unter den verschärfenden Klassen- und Geschlechterwidersprüchen vereinen können. So gehen immer mehr Werktätige der Unterdrückernation im Iran Bündnisse mit den proletarischen Massen des kurdischen und belutschischen Volk ein. Die nationalen, Geschlechter- und Klassenwidersprüche können zum Gegenstand eines gemeinsamen revolutionären Programms und einer gemeinsamen Strategie gemacht werden und so die Einheitsrevolution anfeuern.
Wie die Revolution in Rojava, ist die Revolution in Rojhilat Kurdistan Teil der regionalen Revolution im Mittleren Osten. Sie hat das Potenzial ihren Funken des Kampfes und der Hoffnung auf benachbarte Regionen überspringen zu lassen und somit weitere regionale Revolutionen zu entflammen. Denn regionale Revolutionen bilden die Tore zur Weltrevolution. Revolutionäre demokratische Föderationen können ein Produkt dieser regionalen Revolutionen sein, die die Möglichkeit einer vereinten Befreiung der Völker und Geschlechter schaffen. Denn in Zeiten der imperialistischen Globalisierung haben sich die Widersprüche des kapitalistischen Systems in einem noch nie dagewesenen Ausmaß verschärft. Das bedeutet auch, dass „unter den gegenwärtigen Weltbedingungen […] sich die Rolle regionaler und internationaler Faktoren in der proletarischen Revolution, die Bedingungen für internationale Aktionen und die internationale und regionale Einflussmacht sowie die Möglichkeit des Sieges der einzelnen Revolution erhöht“ haben
Ausblick
Der Aufstand im Iran, der am 16. September 2022 ausbrach, schließt sich zwar der langen Geschichte der Aufstände und Revolutionen im Iran an, die oft von Frauen, Arbeiter:innen und unterdrückte Nationen angeführt wurden, jedoch geht er über all diese Revolten hinaus und wurde zur Revolution. Die Entschlossenheit des werktätigen und unterdrückten Volkes zu einem radikalen Sturz der patriarchalen faschistischen Mullah-Diktatur, formte diese revolutionäre Kraft, die sich über das Land ausbreitete. Der Aufstand in Rojhilat und im Iran zeigen, wie nationale, geschlechtliche und Klassenwidersprüche miteinander verwoben sind und vereint bekämpft werden müssen.
Jedoch ist es der Revolution weder gelungen die Kräfte der Werktätigen und der Unterdrückten zu bündeln und das faschistische Mullah-Regime mit der nötigen Gewalt zu stürzen, noch sich gegen mögliche imperialistische Angriffe von außen wehren zu können. Ausgezeichnet durch spontane Ausbrüche, fehlt es der revolutionären Entwicklung an einer Avantgarde, die mit klaren programmatischen Zielen den Weg der Revolution aufzeigt.
Bisher konnte eine politische Autorität nicht aufrecht erhalten werden, die die spontanen Ausbrüche mit einem revolutionärem Programm kanalisiert. Um das Mullah-Regime zu stürzen, welches militärisch gesehen den werktätigen Massen überlegen ist, benötigt es eine Organisierung und Zentralisierung der Kräfte der Arbeiter:innen, es erfordert die Bewaffnung der Massen sowie den Aufbau einer revolutionären Avantgarde, die unter den Massen den revolutionären Kampfgeist verbreitet und das Bewusstsein der Massen auf das Niveau der revolutionären Führung hebt.