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Eine Katastrophe des Systems

Die Erde bebt, ein Haus fällt zusammen wie ein Kartenhaus, dann noch eins und noch eins und es hört nicht auf. Die Häuser reißen jedes Mal auch diejenigen, die drin leben und gerade wahrscheinlich geschlafen haben mit sich. Das starke Erdbeben, dass sein Epizentrum in Maraş und Gurgum hatte, hat mindestens 20.000 Menschen aus dem Leben gerissen, über 75.000 sind verletzt worden und Hunderttausende sind ohne Dach über dem Kopf. Unter den Trümmern der maroden Häuser warten noch tausende weitere Opfer. Die erste Reaktion, die viele neben Entsetzen und Trauer hatten: Gegen ein Erdbeben, eine solche Naturkatastrophe, können wir als Menschen doch nichts tun. Aber ist das wirklich so?

Korruption und Profitgier

Dass die Region, in der das Erdbeben jetzt stattgefunden hat, eine der aktivsten Erdbebenregionen weltweit ist, ist weitläufig bekannt. Bereits 1999 gab es zwei schwere Erdbeben, bei denen fast 20.000 Menschen starben und auch von 2000 bis heute gab es über 10 schwere Erdbeben, bei denen immer wieder Menschen starben. Geolog:innen haben bereits vor einiger Zeit vorausgesagt, dass es in der Zukunft zu einem erneuten schweren Erdbeben ähnlich zu dem Ende der 90er kommen wird. Der türkischen Regierung war all das bekannt, es wurde eine Erdbebensteuer eingeführt, die eigentlich dazu verwendet werden sollte, Gebäude und kritische Infrastruktur sicherer gegen Erdbeben zu machen und konkret das Leben tausender Menschen zu retten. Seit 1999 hat der türkische Staat über diese Steuer 37 Milliarden US-Dollar eingenommen. Doch statt das Geld dafür zu verwenden neue, sicherere Gebäude zu bauen, oder die bestehenden gegen Erdbeben zu sichern, kam vor kurzem ein Video von dem ehemaligen Finanzminister Mehmet Simsek an die Öffentlichkeit, in dem er zugab, dass das Geld für viele andere Projekte ausgegeben wird. Projekte, die vor allem für gutes Ansehen im Ausland sorgen, der Bevölkerung vor Ort aber nicht wirklich nutzen.

In der Region wurden in den vergangenen Jahren zwar viele neue Gebäude gebaut, ein Großteil davon war jedoch von der Baubehörde TOKI gebaut. Diese Baubehörde vermittelt Bauland an private Unternehmen, die dort mit oft schlechten Materialen und ohne wirkliche Expertise Hochhaus um Hochhaus hochziehen. In den Chefetagen dieser Bauunternehmen sitzen oft AKP-Politiker und Freunde von Erdogan. Besonders in den vergangenen Jahren gab es immer wieder Lockerungen im Baurecht, die es ermöglichten günstiger und schneller zu bauen. Die türkische Wirtschaft steckt seit Jahren in der Krise und die Baubranche ist eine der wenigen Wirtschaftsbereiche die aktuell wachsen. Profitieren tun davon aber vor allem die Konzernchefs, die Politiker:innen und Erdogan-Freunde in den Chefetagen der Konzerne, die mit jeder neuen Gesetzesentschärfung mit jeder neuen Baugenehmigung neues Geld in ihre Taschen kriegen. Auf den Baustellen arbeitet die Bevölkerung immer noch von morgens bis spät abends für einen Hungerlohn und die Menschen hausen bei, besonders in der letzten Zeit rasant steigenden Mieten, in maroden Wohnungen.

Die Wut wächst

Die Katastrophe ist also erst zu einer solchen Katastrophe geworden, weil profitgierige, korrupte Politiker und Konzerne ihre Profite über das Leben von Menschen gesetzt haben. Jetzt sind Hunderttausende obdachlos, haben ihr ganzes Hab und Gut, ihre Familienmitglieder und Freund:innen verloren und was tut der türkische Staat? Nichts. Oder zumindest nicht ganz: Statt zu helfen, hat die Türkei kurz nach dem Erdbeben Dörfer im ebenfalls betroffenen Tel Rifat beschossen.

In vielen Gebieten ist bis heute keine staatliche Hilfe angekommen. Die staatlichen Bergungstrupps helfen vor allem in den Regionen, in denen Erdogan eine Chance auf gute Wahlergebnisse hat. In den Gebieten mit kurdischer Bevölkerung, die Erdogan nicht wählen erden, weil sie sein wahres Gesicht Tag für Tag mit Bombardierungen und Repressionen erleben, hat sich keine staatliche Hilfe blicken lassen. Als Reaktion auf das Erdbeben hat Erdogan vor kurzem einen Ausnahmezustand in den betroffenen Regionen ausgerufen. Die Ankündigung wird wohl weniger dabei helfen die Aufräumarbeiten zu beschleunigen, als diejenigen, die gegen Erdogans Behauptung, das Erdbeben und seine Folgen seien einfach nur „Schicksal“ aufstehen und die politische Verantwortung des Regimes offenlegen wollen, zu bekämpfen. Der Ausnahmezustand erlaubt es den Zugang in die betroffenen Gebiete zu beschränken, Güter zu beschlagnahmen oder politische Ansammlungen zu unterbinden. Erdogan selbst kündigte an mit dem Ausnahmezustand gegen diejenigen vorzugehen, die „Unfrieden und Zwietracht stiften“. Damit gemeint sind vor allem diejenigen, die praktisch Solidarität organisieren und die politische Verantwortung offenlegen: Die Sozialist:innen und fortschrittlichen Kräfte.

Dort, wo der Staat versagt hat, den Menschen zu helfen, sind es aktuell gerade die Sozialist:innen, die es schaffen das Leben vor Ort zu ermöglichen. Sie sind es, die Hilfslieferungen koordinieren, Essensausgaben machen, Wohnungen für die Obdachlosen organisieren und Hilfsunterkünfte aufbauen. Und auch darüber hinaus sind es die Sozialist:innen, die es nicht bei bloßer humanitärer Hilfe belassen, sondern die Verantwortlichen aufzeigen und die politische Dimension der Katastrophe offenlegen. Die praktische Solidarität, die sie vor Ort und im ganzen Land leisten wird zu einer Waffe gegen die Untätigkeit des Staates.

Der Staat reagiert darauf, indem er Hilfslieferungen, besonders die, die von linken Organisationen wie der HDP organsiert, blockiert, Grenzübergänge zur Versorgung der kurdischen Gebiete schließt und Menschen festnimmt, die über das wahre Ausmaß der Zerstörung berichten festnimmt. Im Internet versucht Erdogan Zensur zu betreiben, sperrt den Zugang zu Twitter und verschiedenen Nachrichtenportalen und lässt Accounts wie den der linken Nachrichtenplattform ETHA sperren. Alles nur, damit die dreckigen Machenschaften des Staates unter den Teppich gekehrt werden.

Das faschistische AKP-MHP-Regime will so kurz vor den Wahlen alle Möglichkeiten nutzen ihre Macht zu festigen. Der jetzt ausgerufene Notstand gibt ihnen dazu ein weiteres Instrument an die Hand. Das wahre Gesicht des Palastregimes zeigt sich in der aktuellen Situation klar. Selbst AKP-Bürgermeister in der Region sind sauer darüber, dass die Hilfe so schleppend läuft.

Und auch die Bevölkerung ist wütend. Wütend darüber, dass keine Hilfen ankommen und sie in der Kälte ausharren und hungern müssen, während ihre Verwandten unter den Trümmern liegen, das Essen knapp wird und Hotelbetten im ganzen Land leer sind. Dass es gerade die kurdische Bevölkerung ist, die keine Hilfen erhält,  ist dabei kein Zufall, sondern vom faschistischen türkischen Staat so gewollt.

Naturkatastrophen und Katastrophenschutz

Uns ist allen klar, dass es Naturkatastrophen gibt, den meisten wohl auch, dass diese mit der Klimakrise immer häufiger auftreten. Das gilt natürlich besonders für Stürme, Dürren oder Überschwemmungen, aber auch Erdbeben werden durch das Abschmelzen der Millionen Tonnen schweren Gletscher in Zukunft häufiger auftreten. Diese durch unser Wirtschaftssystem hervorgebrachte Problematik ist dabei nichts neues: Seit Jahrzehnten wird in der Wissenschaft, aber auch in der Politik darüber gesprochen, die Folgen, die die Klimakrise mit sich bringt sind also allen bekannt. Was ist also zu tun? Zum einen gibt es das offensichtliche: Die Klimakrise muss gestoppt werden. Auch bürgerliche Politiker:innen sind sich darüber einig, auch wenn davon in der Praxis nichts zu sehen ist. Mit dem Wissen um bevorstehende Katastrophen kommt man jedoch auch um eine andere Frage nicht herum: Wie schützen wir uns vor den Katastrophen?

An den Überflutungen im Ahrtal 2021 konnte man das ganze schon hier in Deutschland sehen. Viele Häuser waren viel zu nah am Wasser gebaut, es gab kein Abwassersystem, dass auf diese Wassermassen vorbereitet war und obwohl es bereits Tage vorher ernsthafte Warnungen gab, dass eine Flut wahrscheinlich ist, erhielt keine:r der Bewohner:innen eine Warnung. Dieses Muster von „staatlichem Versagen“ zeigt sich überall auf der Welt, auch jetzt in der Türkei. Die aktuelle Lage in der Türkei zeigt uns aber auch in aller Deutlichkeit, dass es sich nicht einfach nur um ein „Versagen“ handelt, sondern es aufgrund bewusster staatlicher Entscheidungen zu Katastrophen wie der aktuellen kommt.

Solidarität organisieren

An jedem Ort, wo der Staat die Profite über die Leben von Menschen stellt, sind wir diejenigen die aufstehen und sagen müssen: Der Kapitalismus ist die Ursache all dieser Probleme, ein Leben in dem die Menschen nicht zu hunderten und tausenden Sterben, weil es wieder eine Naturkatastrophe gab, erreichen wir nur, indem wir das System bekämpfen!

Die Sozialist:innen in der Türkei und Kurdistan zeigen uns eins: Unsere Solidarität ist eine Waffe gegen Barbarei und Elend auf dieser Welt. Und auch, wenn wir nicht vor Ort sind, wir können die Erdbebenopfer auch von hier unterstützen. Lasst uns, wo wir können spenden sammeln, setzen wir uns dafür ein, dass an fortschrittliche Kräfte gespendet wird und nicht an Stiftungen, bei denen das Geld am Ende doch wieder in die Taschen des Palastregimes fließt! Tragen wir unsere Wut auf die Straßen und zeigen auf, dass es nicht einfach nur das Erdbeben ist, dass die Menschen tötet, sondern dieses System, welches für Profit nicht einmal vor Menschenleben Halt macht. Unsere Solidarität ist eine Waffe, ziehen wir in den Kampf!

Wenn ihr spenden wollt, könnt ihr das unter dieser Verbindung tun:

Multi-Kulti e.V.

IBAN: DE69 3701 0050 0983 1415 04

BIC: PBNKDEFF

Verwendungszweck: Erdbebenhilfe