Zum Inhalt springen

Frohes neues Genoss:innen!

2020 neigt sich dem Ende zu und wir alle können den Jahresrückblicken nicht mehr entfliehen: zwischen der Compilation der schönsten Fotos von promiflash und den schlausten Zitaten von Christian Drosten, dem Lieblingsvirologen der Republik – gebt euch zwei Minuten, um wirklich das Jahr Revue passieren zu lassen.
2020 war nicht einfach das Jahr der Maskenmode, es war ein Kampfjahr.

“the roaring twenties – Jahr der Aufstände”
Mit dieser Parole gingen wir in unseren diesjährigen Young Struggle Deutschland-Kongress im Februar. Diese Worte waren nicht zufällig: 2019 war ein Jahr der Aufstände weltweit. Seien es die Frauen von Chile bis in die Türkei, seien es die Volksaufstände im Irak und Libanon, sei es die weltweite Jugendbewegung um Fridays For Future. 2020 trat von Anfang an in große Fußstapfen. Was kam, hatten dann doch wohl die wenigsten erwartet.
Das Jahr begann mit riesigen Umweltkatastrophen: nicht endenden Waldbränden in Australien und entsetzlichen Überschwemmungen in Südostasien. Die ökologische Verwüstung, die die kapitalistische Ausbeutung der Natur anrichtet, wird jedes Jahr offener und zerstörerischer. Fridays For Future, die weltweite Bewegung von Jugendlichen, die gegen diese ökologische Zerstörung aufstehen, befindet sich an einem Scheideweg. Auch wir haben zu dieser Zeit viel gekämpft, um in der Bewegung eine internationalistische und antikapitalistische Perspektive stark zu machen.
Dann, nur wenige Tage vor unserem Kongress, brennt sich ein Tag in unsere Herzen ein: der 19. Februar.

Hanau war kein Einzelfall – Widerstand überall!

Die ersten Meldungen der Polizei, nachdem ein Faschist in Hanau in zwei Shisha-Bars 9 migrantische junge Menschen wahllos niedergeschossen und danach noch seine Mutter und sich selbst erschossen hat, vermutete „Clan-Kriminalität“. Im Laufe des vergangenen Jahres kamen durch die unermüdliche Recherche von Antifaschist:innen immer mehr Details ans Licht: darüber, dass der Täter schon mit solchen Taten gedroht hatte, dass er ein faschistisches Manifest veröffentlicht hatte, dass wenige Zeit vorher ganz in der Nähe schon einmal ein vermummter bewaffneter Mann in ein Jugendzentrum eingedrungen war, dass die Polizei auf Hilfeanrufe in der Nacht zuerst nicht reagiert hatte… Hanau war die grausame Krönung eines faschistischen Aufschwungs, den wir in Deutschland wie in der gesamten Welt, schon lange beobachten können. Es war die Spitze der faschistischen Gewalt, es war das geteilte Trauma aller „Ausländer“ in diesem Land. Unsere Antwort auf Hanau war Migrantifa. Der antifaschistische Kampf muss aus den verruchten Träumen der Antons und Annikas in schicker schwarzer Regenjacke auf die Straße unserer Viertel zurückgeholt werden, die Unterdrückten müssen sich wieder selbst verteidigen. Denn Hanau hat gezeigt, dass niemand anders es tut. Auch der Mord an George Flyod und der daraus resultierende Aufschwung der Black Lives Matter Demonstrationen, auch hier in Deutschland, hat das Jahr stark geprägt. Über ein halbes Jahr sind die Menschen in den USA trotz Pandemie auf die Straße gegangen und haben übelste Repressionen erlitten. Viele haben realisiert, wie stark Kapitalismus und Rassismus zusammengehören.
Die Diskussionen auf unserem Kongress, genau so wie die darauf folgende Praxis im vergangenen Jahr, waren in erster Linie überschattet von dieser Erkenntnis.

  1. Welle – Pandemie und Krise
    Nach Hanau riefen wir überall zu migrantischer Selbstverteidigung und zur Gründung von Migrantifas auf. Es gründeten sich Gruppen mit dutzenden migrantischen Jugendlichen, wir waren voller Trauer und Wut. Wir hatten riesige Pläne und Ziele, aber die Corona-Pandemie machte uns einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Die Regierungen wussten schon seit Jahren von der drohenden Gefahr einer grausamen Pandemie, trafen jedoch keinerlei Vorkehrungen. Aber auch wir Revolutionär:innen haben die Gefahr, die von Corona ab dem Moment seines Ausbrechens in China ausging, lange völlig unterschätzt und uns in der Zeit von Januar bis März in keiner Weise ausreichend vorbereitet. Die gesamte linke Bewegung fiel in einen trügerischen Burgfrieden – und das obwohl gerade die Pandemie die Widersprüche des Kapitalismus noch viel offener zeigte, die Gründe zu kämpfen noch schmerzhafter wurden – seien es die massenhaften Entlassungen, die völlig unzureichenden Bedingungen in den Schulen und an Arbeitsplätzen, die angestiegene Gewalt gegen Frauen, der zusammengesparte verlumpte Zustand des Gesundheitssystems oder die gleichgültigkeit gegenüber Geflüchteten an den Außengrenzen der EU, wie in Moria. An jeder Ecke heißt es, wir sollten zuhause bleiben, weil die Kapazitäten des Gesundheitssystems nicht ausreichen – aber diese Kapazitäten wurden im ganzen Jahr immer noch kaum aufgestockt. Es heißt, wir sollten zuhause bleiben, aber weiterhin arbeiten und zur Schule gehen und shoppen natürlich sowieso.
    Wir veröffentlichten in der Zeit des ersten Lockdowns eine Übersetzung des Artikels „die revolutionäre Pflicht lässt sich nicht zuhause einsperren“ von Özgür Genclik. Dieser Artikel fasst unsere Linie der revolutionären Arbeit während der Pandemie zusammen: wir müssen natürlich vorsichtig und rücksichtsvoll sein, aber das gegenüber allen – auch gegenüber all den Arbeiter:innen, Frauen, LGBTI+, Jugendlichen, die gerade nicht die Möglichkeiten von häuslicher Quarantäne haben, denen Versorgung, Essen, Geld und Platz fehlen. Wir müssen die Möglichkeiten von sozialen Medien etc. viel besser nutzen, aber wir können uns als Revolutionär:innen nicht darauf beschränken.
    Diese Haltung zeigten wir besonders in unserer Haltung zum ersten Mai deutlich. Wir waren eine der wenigen Kräfte, die jetzt erst recht auf die Straßen riefen und zum ersten Mai hinarbeiteten.

Die Frauen brachen das Schweigen
Vor dem ersten Mai gab es fast schon eine Totenstille in der linken Bewegung, nachdem die #leavenoonebehind-Aktionen gegen die unmenschlichen Zustände in den Geflüchtetenunterkünften durch die staatliche Repression an vielen Orten auseinandergetrieben wurden. Diejenigen, die die Stille zuerst brachen, waren die kommunistischen Genossinnen. Mit dem Bündnis „Avrupa Kadin Dayanismasi – Frauensolidarität in Europa“ begannen migrantische sozialistische Frauenorganisationen schon in der ersten Zeit des Lockdowns die Aktionsstille durch wöchentliche Aktionen gegen Gewalt gegen Frauen zu brechen. Dem Aufruf von Zora folgend beteiligten sich auch viele Genossinnen von Young Struggle, die dort auch organisiert sind, an den Aktionen. In vielen Städten waren das seit langem die ersten Aktionen, mit denen sich auf die Straßen getraut wurde. Die Genossinnen sagten: „wenn die Häuser für uns nicht mehr sicher sind, dann gehen wir auf die Straßen!“ Vorallem in der Türkei waren die Frauen diejenigen, die Trotz der Pandemie gekämpft haben. Als der Faschistische Türkische Staat bekannt gab, dass er aus der Istanbul Konvention aussteigen möchte, waren es die Genoss*innen in der Türkei, die auf die Straße gegangen sind und ihre gesamte Kraft aufgebracht haben um dagegen zu kämpfen.

  1. Welle: faschistische Offensive
    Die Pandemie bot und bietet eine perfekte Grundlage und Ausrede für eine erneute faschistische Offensive auf allen Ebenen. In vielen Ländern der Welt ist in der Zeit der Corona-Lockdowns die Verhaftung und Ermordung von linken Aktivist:innen und Kommunist:innen extrem angestiegen. Auch in Deutschland war dieses Jahr ein Jahr des wachsenden Faschismus. Die faschistische Gewalt, die die Attentäter von Halle und Kassel begannen, ging weiter mit Hanau, Celle und Hennstedt-Ulzburg. Der Faschismus hat verschiedene Ebenen: die (paramilitärische) Gewalt haben wir an diesen Beispielen gesehen. Natürlich muss so auch die Koalition von FDP und AfD im Thüringer Landtag eingeordent werden, wo vermeintlich „demokratische“ Parteien offen gezeigt haben, was sie wirklich vom Faschismus halten: eine bessere Alternative, zu (mehr oder weniger) linker Politik! Querdenken hat den Faschisten die Plattform einer riesigen Massenbewegung gegeben, gleichzeitig wurden besonders während des ersten Lockdowns wirklich staatliche Maßnahmen geprobt, die wir sonst bloß von faschistischen Regimen kannten: Verbot von Demonstrationen und (politischen) Versammlungen. Das Gedenken 6 Monate nach Hanau wurde am Abend vorher verboten, aber die Querdenker „stürmten“ eine Woche später Berlin. Und genau dieses Jahr, in dem Faschisten ihre Massenbasis vergrößern, aggressiver und brutaler werden, werden linke Aktivist:innen im Dannenröder Forst lebensgefährlich von Bäumen „geholt“ und angepisst und etliche Genoss:innen unter „Terrorverdacht“ durchsucht und verhaftet. Die Überwachung und Polizeipräsenz ist extrem allgegenwärtig geworden. Zur Kontrolle der Corona-Maßnahmen wurde die Bundeswehr im Inland eingesetzt, sind in allen Großstädten an jeder Ecke Polizeistreifen zu sehen gewesen. Auch das wurde wieder auf dem Rücken migrantischer Jugendlicher ausgetragen, die unter den Generalverdacht, Verbrechen zu begehen, gestellt wurden. Im Sommer spitzte sich das alles immer weiter zu, bis zu den Explosionen bei den Clashs zwischen Jugendlichen und Bullen in Stuttgart und Frankfurt, die eine gigantische rassistische Hetze in den Medien nach sich zogen. In Frankfurt schafften wir es mit Migrantifa und Black Power, diese Hetze nicht unbeantwortet zu lassen, sondern selbst in die Offensive zu gehen, als wir in der folgenden Woche eine Spontandemonstration gegen die unzumutbaren massenhaften rassistischen Polizeikontrollen organisierten und uns die Innenstadt zurückeroberten.

Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren
… es ist die Zeit der Monster

2020 war ein Krisen- und ein Kampfjahr, in Deutschland wie auch international.
Klar ist, dass 2021 nicht entspannter ist. Die existenzielle Krise des Kapitalismus wird jedes Jahr und jeden Tag offensichtlicher. Die Ausbeutung von Natur und Mensch hat Maße angenommen, die schon lange nicht mehr tragbar sind, die schon lange nicht mehr übertrumpfbar sind. Und so werden wir von einer Krise in die nächste geschlagen. Den Luxus, uns zuhause einzusperren, haben wir Revolutionär:innen leider nicht. Entscheidend im nächsten Jahr wird sein, wie wir es schaffen, der Wut der Menschen einen Kanal zu geben. Das kommende Jahr wird ein schweres Jahr, aber in jeder Härte liegt die Schönheit des Widerstandes. Viele sagen, 2020 war ein schlimmes Jahr. Aber es war auch ein Jahr, in dem sich etliche neue Jugendliche der Revolution zugewandt haben, in dem wir alle uns politisch weiterentwickelt haben und an den Herausforderungen und Kämpfen gewachsen sind wie in wenigen anderen Jahren. Mit dieser Kraft werden wir ins neue Jahr gehen.

Es ist nicht mehr lange bis Hanau 1 Jahr her ist. Dann wird sich zeigen, ob wir der Parole „Gedenken heißt kämpfen“ gerecht werden. In diesem Jahr müssen wir uns auf viele Angriffe von Staat, Kapital und Faschisten gefasst machen. Die kapitalistische Wirtschaftskrise vertieft sich noch weiter. 2020 haben wir den Anfang der Antwort der Kapitalisten gesehen: Propaganda, Abschieben der Verantwortung, erstarkende Faschisten, die die Wut der Menschen in die völlig falsche Richtung zu lenken versuchen. Im kommenden Jahr müssen wir unsere Verankerung unter den Arbeiter:innen, Migrant:innen, Frauen und LGBTI+ viel weiter vertiefen, um gewappnet zu sein für die Kämpfe, die kommen. Das Kapital zeigt sich jeden Tag offener und brutaler. Auch wir Kommunist:innen müssen aus der Defensive, aus dem Wegducken heraus und offen und klar sein:
Im Jahr 2021 heißt es mehr denn je – Sozialismus oder Barbarei!