Wir durchleben eine Zeit, in der die Gewalt gegen Frauen auch unter der Pandemie weiter zunimmt. Frauenmorde (Femizide) und Gewalt gegen Frauen entwickeln sich vor unseren Augen zu einer Krise, die europaweit von Land zu Land unterschiedlich ist. Diese Krise schreitet in Form eines Kampfes gegen Frauen durch das männliche Geschlecht und patriarchal imperialistisch-kapitalistische Mächte voran.
Staaten gegen Gewalt an Frauen?
Während Regierungen in anderen Krisensituationen, wie der Krise im Gesundheitswesen und der Wirtschaftskrise schnelle Maßnahmen und Lösungsstrategien festlegen, werden im gleichen Moment Gewalt gegen Frauen und Frauenmorde nicht zum Thema der Krise gemacht und nur begrenzt Maßnahmen ergriffen. Wir fordern seit Beginn der Pandemie, dass verschiedene Maßnahmen ergriffen werden. Einige dieser Forderungen sind: Gewalt gegen Frauen zum Krisenthema machen und eine Beihilfe für Frauen und LGBTI+ die von finanzieller Gewalt betroffen sind bereitstellen. Frauen, die sich an Hotlines gegen Gewalt an Frauen wenden, sollen nicht nur beraten werden, sondern es muss sofort Hilfe vor Ort sein, um den Täter handlungsunfähig zu machen, unter anderem stärkere Unterstützung, wenn man Fälle bei der Polizei meldet, die Anzahl der Frauenhäuser erhöhen, schwerwiegende Urteile und Strafen für Täter, die auf Grund von Gewalt-, Mord- und Vergewaltigungsfällen vor Gericht stehen die Gewährleistung der Umsetzung der Istanbul-Konvention.
Die meisten unserer Forderungen wurden jedoch vom patriarchalen Staat nicht so beantwortet, wie wir es wollen. Wie schon vor der Pandemie wird die seither gestiegene Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigungen und Frauenmorde von dem Staat nicht beseitigt, er ergreift nur vorübergehende und keine langfristigen Maßnahmen.
Warum sind die Femizidraten in einigen europäischen Ländern und in Deutschland so hoch? Warum kriegen Männer, die Frauen ermorden, vor Gericht geringere Strafen wegen „strafmindernder Umstände“?
Ein Teil der weltweiten Femizide wird auf dem europäischen Kontinent erlebt. Die Ermordung von 137 Frauen jeden Tag und 50.000 Frauen pro Jahr verdeutlicht das erschreckende Ausmaß der Femizide auf globaler Ebene. Europa ist davon nicht ausgenommen: Allein hier wurden im Jahr 2016 3.576 Frauen ermordet.
Frauen werden von ihren Ehemännern, Partnern, Vätern, Söhnen und Männern, die sie nicht mal kennen, ermordet. Die Ermordung von 267 Frauen und der Mordversuch an 542 Frauen im Jahr 2019 zeigen das Ausmaß in Deutschland. In den drei größten imperialistischen Ländern Europas (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) wird seit 2016 jeden dritten Tag eine Frau ermordet. Selbst in diesen angeblich fortschrittlichen Ländern sind Frauen nicht sicher. Die Männer, die Gewalttaten begehen, stammen aus vielen verschiedenen Ländern und zu sagen, dass die meisten von ihnen Geflüchtete sind, ist eine Aussage, die in unserem Kampf ein Hindernis darstellt. Gewalt gegen Frauen ist sowohl in den Nachrichten mehr thematisiert worden als auch bei uns als Frauenorganisation in den Mittelpunkt unserer Arbeit gerückt. Der Krieg, das von einem Geschlecht gegen das andere geführt wird, hat sich unter den Pandemiebedingungen mit der Kraft, die er von den patriarchalen Regierungen erhält, gesteigert. Der Mann, der Gewalt ausübt, steht in unserem Visier, egal aus welchem Land er kommt. Solange Gewalt gegen Frauen und sexualisierte Übergriffe eine landesweite Krise sind, sollte unsere Kampflinie dagegen militanter sein und sich auf Frauengerechtigkeit und Selbstschutz richten.
Gründe für die Gewalt
Ein Grund, warum Femizide und Gewalt gegen Frauen in Europa und in Deutschland zunehmen, ist, dass es keine bedrohlich hohen Strafen gibt. Weil die Strafen nicht hoch genug sind, können Männer es ertragen, für eine gewisse Dauer ins Gefängnis zu kommen. Die so genannten „hohen Strafen“ werden für Männer kaum umgesetzt, oder die Prozesse, die noch einmal geführt werden, enden damit, dass der Frauenmörder-Mann freigelassen wird. Einen Mord zu begehen, wird als eine leichte Tat angesehen, die nicht mit einer langen Gefängnisstrafe bestraft wird. Die Gesetze und Gerichte arbeiten sozusagen für die Männer. Solange die patriarchale Justiz das Sagen hat, können Männer problemlos weiter morden, vergewaltigen und gewalttätig sein. Eine der am häufigsten gestellten Fragen bei Google lautet: „Wie erhalte ich die geringste Haftstrafe, wenn ich einen Mord begehe?“ oder „Was sollte ich tun, um eine geringere Strafe zu erhalten?“. Die Morde und die Gewalt gegen Frauen und LGBTI+ Personen werden in der Gesellschaft nicht als allgemeines Verbrechen, Mord oder Gewalt angesehen. Das bürgerliche Gesetz ist ein Gesetz, das sich über die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern erhebt und auf der Seite der Männer steht und genau deswegen nehmen Gewalt, Vergewaltigungen und Femizide unaufhörlich zu.
Ein weiterer Grund für die Femizide ist die gelehrte Männlichkeit, die sich in ein gesellschaftliches Bewusstsein verwandelt. Die Realität der Femizide, beginnt damit, dass Männer Frauen als ihr eigenes Privateigentum sehen, beginnt damit, dass eine Frau sich trennen oder scheiden lassen will. Der Mann will sich nicht von seinem Eigentum trennen, das er zu besitzen glaubt. Er handelt mit dem Bewusstsein seines Rechts, sein eigenes Eigentum verbrennen, töten und verletzen zu können, aber die Frau ist keine Ware und auch kein Privateigentum, sondern ein Subjekt. Sie hat die Freiheit, über ihren eigenen Körper und ihr Leben zu entscheiden. Doch die kapitalistischen, patriarchalen Regierungen und all ihre Machtmechanismen betrachten die Familienstruktur und die männliche Vorherrschaft als „Sonderbereiche“, sie greifen nicht ein, wenn der Mann Gewalt ausübt.
Nehmt ihr uns eine:n – Antworten wir alle!
Der Mord an Ladina in der Schweiz, den wir uns genau angesehen haben, ist ein konkretes Beispiel dafür: Ladina war eine verheiratete Mutter, eine junge Frau. Lange Zeit erlebte sie Gewalt durch ihren Mann. Bevor sie ermordet wurde, machte eine Young Struggle Genossin von uns, die eine Kindheitsfreundin von ihr war, eine Anzeige, aber die Polizei unternahm nichts. Die Polizei war lediglich Zuschauer und stellte fest, dass „die Anzeige nicht von der Betroffenen gemacht wurde“, und schenkte dem Ganzen keine Beachtung. Die Schweizer Gerichte zeigten ihr Gesicht der patriarchalen Justiz sehr deutlich, als sie den Mörder, den sie 2020 verhaftet hatten, im Herbst 2021 freiließen. Der Täter hat dem Gericht vorgespielt die Tat zu bedauern und die Justiz verhängte, mit der Begründung, er wäre psychisch nicht stabil, eine geringere Strafe.
Die Folge war eine einjährige Haftstrafe für das Leben einer Frau. Als Mensch war die Frau scheinbar wertlos. Die Frau, die nichts wert ist, die als Ware betrachtet wird, die vom Mann vernichtet wird, wurde durch den kapitalistischen, patriarchalen Staat mit seiner Polizei, seinem Gericht, seinen Gesetzen noch mehr entwertet. Mit diesem Beispiel haben wir gesehen, wie die Ungleichheit im bürgerlichen Recht die Gewalt gegen Frauen und LGBTI+ Personen jeden Tag reproduzieren kann.
Warum wird die große Mehrheit der gewalttätigen Männer nicht verhaftet? Warum schützen die Gesetze und Gerichte die Männer?
In Europa sind Vergewaltigungen gegen Frauen an der Tagesordnung, 2017 gab es in England 48.000, in Frankreich 14.000 und in Deutschland 7.000 Fälle. Laut der Kriminalitätsstatistik in England und Wales wurden zwischen 2019 und 2020 144.000 Frauen vergewaltigt oder es wurde versucht sie zu vergewaltigen. Allein diese Zahlen zeigen, dass eine unglaublich große Zahl an Männern Vergewaltigungen als legitim betrachtet. Von diesen 144.000 Vergewaltigungen und Vergewaltigungsversuchen wurden nur 59.000 bei der Polizei gemeldet. Von diesen 59.000 angezeigten Fällen landet nur eine verschwindend geringe Anzahl der Täter hinter Gittern, nämlich nur 1439. Dies zeigt uns, dass Polizei und Gerichte die Verbrechen als legitim und nicht bestrafungswürdig ansehen. Als Frauenbewegung müssen wir sowohl das Problem, dass zahlreiche Vergewaltigungen gar nicht erst angesprochen werden, als auch die fehlende Verfolgung dieser Straftaten lösen.
Dieser Punkt macht uns als Frauenbewegung wütend. Warum werden von 59.000 Vergewaltigern 57.561 freigelassen? Wir stellen diese Frage für viele europäische Länder, auch für Deutschland. Dass Polizei und Gerichte die Vergewaltiger nicht zur Rechenschaft ziehen, hat seinen Ursprung in dem patriarchalischen System und seinen Institutionen, die das Handeln dieser Männer als rechtmäßig ansehen.
Ein Beispiel dafür ereignete sich 2021 in Hamburg. Eine 16-jährige junge Frau erzählte ihrer Familie, dass sie mehrmals von unterschiedlichen Männern vergewaltigt wurde und erstattete Anzeige bei der Polizei. Nur einer der Vergewaltiger wurde verhaftet, dass zeigte erneut die Rolle von Polizei und Gerichten beim Schutz von Tätern. Auch auf diesen Fall wurde öffentlich aufmerksam geamacht.
Solange Gewalt gegen Frauen und sexuelle Angriffe ein landesweites Problem, eine landesweite Krise sind, sollte unsere Kampflinie dagegen jedoch militanter sein als und auf bürgerliche Gerichte zu verlassen. Wir müssen uns auf Frauengerechtigkeit, -solidarität und Selbstschutz berufen.
Wir können Kampagnen durchführen, die die Männer, die Gewalt, einen Femizid oder eine Vergewaltigung begangen haben, zur Rechenschaft ziehen, die den Prozess und hohe Strafen für sie fordern. Diese Kampagnen können wir mit symbolkräftigen Beispielen und Prozessen verbinden. Neben den Männern, die Frauenmorde, Gewalttaten oder Vergewaltigungen begehen, sollten auch die Polizei, die ihre Pflicht nicht erfüllt, die Gerichte und Gesetze, die keine Strafen vorsehen, und der patriarchalische Staat unser Ziel sein.
Auf Prozesse wie den zum Mord an Ladina oder den Vergewaltigungsfall in Hamburg sollten wir unsere Aufmerksamkeit richten. Um den Kampf gegen Gewalt an Frauen und LGBTI+ Personen zu kollektivieren und Täter gemeinsam zur Rechenschaft zu ziehen, können wir außerdem einen Aufruf an Vereine, Parteien, Gewerkschaften etc. richten und gemeinsam sagen: „Startet den Prozess gegen die Gewalt, verhängt Strafen“. Damit können wir den Weg für Frauenkomitees in diesen Institutionen bereiten, um effektiver zu sein und den Kampf auch in diesen Strukturen zu einem Schwerpunktthema zu machen. Wir können uns über unsere eigenen Erfahrungen im Umgang mit sexuellen Übergriffen austauschen. Wir können verschiedene Aktionen organisieren, z.B. im 45 Minuten Takt eine Aktion in verschiedenen Städten oder Social Media Aktionen, um darauf aufmerksam zu machen, dass alle 45 Minuten eine Frau in Deutschland Gewalt erfährt. Wir können die Istanbul Konvention zu einem ständigen Thema machen und die Staaten, die sie unterzeichnet haben, überprüfen inwiefern die Punkte umgesetzt wurden. Jedes Jahr kommen 16.000 Frauen in Deutschland in Frauenhäuser. Neben der Forderung nach mehr Frauenhäusern können wir auch politische Arbeit betreiben, damit die Männer, die Frauen dazu zwingen, ihre Häuser zu verlassen, verhaftet werden. Unter all diesen Punkten des Kampfes ist der Selbstschutz, die Notwehr gegen Gewalt ein zentrales Thema.
Dafür können wir Selbstschutzgruppen gründen, um den Mann praktisch mit der Gerechtigkeit von Frauen und LGBTI+ Personen zu konfrontieren. Über Organisationen von Anwält:innen können wir erfahren, ob Frauen, die ihr Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch genommen haben, im Gefängnis sitzen, und wir können mit ihnen Kontakt aufnehmen, Frauensolidarität bekunden und Prozesse in der Öffentlichkeit bekannt machen.
Lasst uns solidarisch miteinander sein, lasst unseren Widerstand gemeinsam auf die Straße tragen, machen wir unseren Kampf gegen die patriarchale Gewalt öffentlich und militant! Frauen und LGBTI+-Menschen können gemeinsam stark sein, wir können die heterosexistische Welt verändern. Wir müssen nicht nur für unsere Rechte im patriarchalen, kapitalistischen System kämpfen, sondern auch für eine Welt ohne Gewalt! Für unsere Freiheit, für eine Welt ohne Gewalt und Heterosexismus können wir mit der Strategie der Frauenrevolution handeln.
Der Artikel ist ein Gastbeitrag vom Bund Sozialistischer Frauen (SKB). Eine gekürzte Version des Artikels ist in der 90. Ausgabe unserer Zeitschrift „Young Struggle“ erschienen.