In der Andenprovinz Mendoza in Argentinien fanden dieses Wochenende zahlreiche Demonstrationen der Bewegung „Ni Una Menos“ (Keine Weniger) mit mehr als 10.000 Teilnehmenden statt – allen voran Frauen und weiblich gelesene Menschen (1). Sie forderten Gerechtigkeit für die ermordete Florencia Romano und den Rücktritt des Polizeipräsidenten Roberto Munives und des Ministers für Sicherheit Raúl Levrino.
Seit dem 12. Dezember war die 14-jährige Florencia Romano unerklärlich verschwunden. Daraufhin organisierten ihre Familie und Freund:innen gemeinsam mit Ni Una Menos Demonstrationen für ihr lebendiges Wiederauftauchen. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag (18.12.) wurde dann bestätigt, dass Florencias Leiche gefunden wurde. Sie weist schwere Verletzungen und Verbrennungen auf. Es gab Festnahmen von zwei Personen, Pablo Arancibia und Micaela Méndez. Sie werden wegen Mittäterschaft am Femizid von Florencia angeklagt. Verdächtigt wird vor allem Pablo Arancibia: er hatte bereits Anzeigen von zwei Frauen wegen Belästigung und Freiheitsberaubung.
Zudem ergaben erste Nachforschungen, dass am Abend, an dem Florencia verschwand, Nachbar:innen der Angeklagten die Polizei anriefen und schilderten, Hilferufe im Haus von Arancibia und Méndez zu hören. Der Notruf wurde seitens der Polizei abrupt beendet und es folgten keine weiteren Konsequenzen.

Die Wut der Massen auf den Straßen Mendozas wird also auch mit dem klaren Vorwurf an den Staat begleitet, mitverantwortlich für den Mord an Florencia (und zahlreicher weiterer Femizide) zu sein. Die Forderung nach Gerechtigkeit wurde auch militant zum Ausdruck gebracht: Teile des Regierungsgebäudes der Provinz wurden in Brand gesetzt und Fenster wurden zerschlagen.
In der Pressekonferenz des Polizeipräsidenten und des Ministers für Sicherheit wurde auf den ignorierten Anruf nicht eingegangen. Stattdessen blieben genug Worte und Fahndungsankündigungen übrig für die „gewalttätigen, antidemokratischen, extremistischen“ Gruppen, die den Marsch instrumentalisiert hätten.
Solidarität mit den Aktivist:innen in Mendoza!
Wenn Staatsbeamte von einem vermeintlichen „Angriff auf die Demokratie“ seitens feministischer Aktivist:innen reden, dann verteidigen sie eine Staatsgewalt, die in ihrer Hülle zwar eine „parlamentarische Demokratie“, in ihrem Kern jedoch zutiefst patriarchal und kapitalistisch ist! Ihre Gebäudereparatur kostet sie Millionen von Pesos, der Verlust von Florencia und allen weiteren Opfern von Femiziden und Travestiziden ist irreparabel, ihre Leben unbezahlbar! (2) Während Konzerne in Zeiten von Pandemie und Wirtschaftskrise staatliche Hilfsgelder in den Arsch geschoben bekommen, werden die viel zu wenigen Hilfsangebote für Betroffene von sexualisierter Gewalt zunehmend kommerzialisiert, Vereine müssen jeden Penny dreimal umdrehen und sind immer mehr auf unbezahlte Arbeit von Freiwilligen angewiesen. Schluss mit dieser Symptombekämpfung! Sexualisierte Gewalt und Morde haben System! Wir scheißen auf euer Kapital – wir wollen Selbstbestimmung, Unversehrtheit unserer Körper, das Recht auf Selbstverteidigung und Gewaltschutz in Notfällen! Unsere stärkste Waffe ist Solidarität! Florencia Romano – presente!
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(1) Diesen Begriff benutzen wir, weil es auch Personen gibt – zum Beispiel trans, intersex und nicht-binäre* – die sich nicht als Frau definieren. Wenn ihr Aussehen in den Köpfen vieler Menschen aber trotzdem in die Schublade „weiblich/Frau“ gesteckt wird, sind sie neben z.B.Trans- und Interfeindlichkeit auch von Sexismus betroffen.
(2) Viele lateinamerikanische Länder haben den Mord an Frauen als „Femizide“ in ihren Strafgesetzbüchern verankert. In Deutschland gibt es so etwas nicht. Das führt dazu, dass ein strukturelles Problem verschleiert wird. Auch passiert es oft, dass Femizide, die von (Ex- )Partnern (in den meisten Fällen männlich) durchgeführt werden, nicht als Mord, sondern nur als Totschlag eingestuft werden. In einem Urteil vom Bundesgerichtshof von 2008 wurde zum Beispiel festgehalten, dass wenn das Tatopfer sich vom Täter trennen wollte davon ausgegangen werde, dass „der Angeklagte durch die Tat gerade dessen selbst beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will“ und deshalb niedrige Beweggründe für den Straftatbestand „Mord“ infrage gestellt werden können (dadurch nur Todschlag). Hier wird also de facto eine Beziehungspartnerin mit Besitztum gleichgesetzt (wie sonst kann es „geraubt“ werden). Das ist zutiefst patriarchal!
Transfeindliche Morde sind noch unsichtbarer als Femizide. Vielen ermordeten trans Personen (betroffen sind vor allem Schwarze Frauen) wird bis über ihren Tod hinaus ihre Identität abgesprochen. So zum Beispiel auch in Kriminalstatistiken, in denen ihr Geschlecht fremd- und falsch bestimmt wird. Das führt zu einer enormen Dunkelziffer bei transfeindlichen Verbrechen. Um mehr Sichtbarkeit zu schaffen, kämpfen viele trans und nicht-binäre Aktivist:innen weltweit für die Einführung des Straftatbestands „Travestizid“. In Argentinien wurde vor einigen Jahren der Mord an der Aktivistin Diana Sacayán zum ersten Mal als Travestizid gerichtlich beurteilt, was allerdings Ende Oktober diesen Jahres wieder angefochten wurde.