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Im Schatten des Rotlichts: Was ist Sexarbeit und vor welche Aufgaben stellt sie uns als Marxist:innen?

Das Jahr 2023 hat begonnen und wir machen uns bereit auf ein Jahr, indem die Klassenkämpfe sich weiter rasant zuspitzen werden. In Zeiten voller Bewegung ist es wichtig, sich seiner Positionen und Ziele klar zu sein, um nicht im politischen Tagesgeschäft unterzugehen. Eines der Themen, welche in der marxistischen wie auch in der Frauenbewegung viel diskutiert werden, ist die Frage der Sexarbeit. Auch beim 25. November 2022 haben wir wieder erlebt, wie diese Diskussion eine der Fragen war, an denen die Zusammenarbeit in Bündnissen festgemacht wird, an denen sich die Geister und Organisationen scheiden. Es gibt jedoch wenige wirklich ausgearbeitete Positionen, auf denen diese Diskussionen sich stützen. Dadurch wird es oftmals zu einem Wirrwarr an Moralvorstellungen, theoretischem Halbwissen und Wunschträumen, die sich in heftigen Auseinandersetzungen um die Ohren geworfen werden, während der theoretische Gehalt der Auseinandersetzung leider allzu oft verloren geht. Mit diesem Artikel hoffen wir, eine Vertiefung der Debatte anstoßen und einen genossenschaftlichen Beitrag zur Klärung der Frage leisten zu können.

1.   Die Situation der Sexarbeit in Deutschland

Deutschland ist international bekannt als der “Puff Europas”. Während bei den deutschen Behörden 33.000 Sexarbeiterinnen offiziell gemeldet sind, geht man von schätzungsweise 400.000 Sexarbeiterinnen aus. Die Sexindustrie ist ein Sektor, der sich in ständigem Wachstum befindet. Beispielsweise ging die Münchner Kriminalpolizei in den 1990er Jahren von 800-1200 Sexarbeiterinnen in der Stadt aus, im Jahr 2016 lag allein die Anzahl der staatlich registrierten und legal arbeitenden Sexarbeiterinnen bei 2777. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Der größte Teil der Sexarbeiterinnen in Deutschland sind Migrantinnen, vor allem aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn (je nach Region machen sie 80-95% aus). An dieser Zahl wird eine weitere Realität der Sexindustrie deutlich: das Wachstum dieses prekären Sektors ist eng verbunden mit der global steigenden Migration. Die Ausnutzung der verwundbaren Situation armer Migrantinnen ist eines der Standbeine der Sexindustrie.

Lange war Sexarbeit in Deutschland als “sittenwidrig” verboten und der Sektor war komplett Teil des Schwarzmarkts. 2002 wurde die Sexindustrie legalisiert. Deutschland führte ein “regulatorisches Modell” ein, mit welchem die Sexindustrie in legale und staatlich kontrollierte, versteuerte Bahnen gelenkt werden sollte.

Jährlich werden ca. 7-8 Milliarden Euro Gewinn aus der Sexindustrie gezogen. Damit ist die Sexindustrie eine der gewinnbringendsten Branchen des Schwarzmarkts: Denn auch, wenn Sexarbeit 2002 offiziell legalisiert wurde, spielt sich nur ein Bruchteil des Marktes in staatlich kontrollierten Bahnen ab und der Großteil des Geschäfts wird weiterhin über den Schwarzmarkt betrieben.

Die Sexindustrie ist äußerst gewaltvoll. Laut einer Studie aus dem Jahr 2004 gaben über 50% der befragten Sexarbeiterinnen an, im Rahmen der Sexarbeit schon einmal Opfer einer Gewalttat geworden zu sein. 41% der Befragten gaben an, in den letzten 12 Monaten Drogen konsumiert zu haben.

“Warum ich für Sex bezahle? Frauen gehen mir oft auf den Sack. Sie machen Stress. Dafür zu zahlen, das hat was. Ins Gesicht abspritzen kostet 50 Euro extra. Eigentlich ist das Macht. Man kann mit der Frau machen, was man will.“ – Christian, 23, Kaufmann, Single

Diese menschenverachtenden Worte eines Stuttgarter Freiers bringen die Logik der Sexindustrie auf den Punkt.

2.   Die Ausbeutung der weiblichen Sexualität

Beim Thema der Sexarbeit wird oft vom “ältesten Gewerbe der Welt” gesprochen. Damit soll für gewöhnlich erklärt werden, dass Sexarbeit und die Ausbeutung der weiblichen Sexualität “menschlich” seien und überhaupt: “was schon immer war, wird auch immer bleiben”.

Dieses Argument ist Schwachsinn.

In den frühesten menschlichen Gesellschaften, den Urgesellschaften, gab es keine Gewerbe und genauso wenig wie sonstige andere Ausbeutung und Lohnarbeit ist auch die Sexarbeit nichts zutiefst menschliches, sondern mit dem Aufkommen von Patriarchat und Klassengesellschaft entstanden. Mit der Entstehung des Privateigentums entwickelte sich die patriarchale Arbeitsteilung. An die Stelle des ursprünglichen Kollektivs stellte sich das private Eigentum, welches sich in den entstehenden patriarchalen Gesellschaften von den Männern angeeignet wurde. Um sicherzustellen, dass dieses Eigentum von Mann zu Mann, also von Vater zu Sohn, weitergegeben werden konnte, entstand die monogame Familie: eine Frau sollte nur mit einem Mann schlafen, sodass der Vater ihrer Kinder nachvollzogen werden konnte. Schon von Beginn an galt diese Monogamie jedoch nur den Frauen, Männer hingegen haben sich immer wieder das Recht auf Polygamie, das Recht auf verschiedene Geschlechtspartnerinnen, genommen.

Die Prostitution und die moderne Sexindustrie sind ein Ergebnis dieser patriarchalen Familien- und Geschlechterordnung.

Wenn wir also die Sexarbeit verstehen wollen, müssen wir sie mit ihrem Gegenstück zusammen betrachten: die Ausbeutung der weiblichen Sexualität im Haus.

„So ist die Erbschaft, die die Gruppenehe der Zivilisation vermacht hat, eine doppelseitige, wie alles, was die Zivilisation hervorbringt, doppelseitig, doppelzüngig, in sich gespalten, gegensätzlich ist: hier die Monogamie, dort der Hetärismus mitsamt seiner extremsten Form, der Prostitution. Der Hetärismus ist eben eine gesellschaftliche Einrichtung wie jede andere; er setzt die alte Geschlechtsfreiheit fort – zugunsten der Männer. In der Wirklichkeit nicht nur geduldet, sondern namentlich von den herrschenden Klassen flott mitgemacht, wird er in der Phrase verdammt. Aber in der Wirklichkeit trifft diese Verdammung keineswegs die dabei beteiligten Männer, sondern nur die Weiber: Sie werden geächtet und ausgestoßen, um so nochmals die unbedingte Herrschaft der Männer über das weibliche Geschlecht als gesellschaftliches Grundgesetz zu proklamieren.“ (Engels, Der Ursprung von Familie, Privateigentum und Staat)

Kann man Sexarbeit und Ehe vergleichen?

„Die Ehe stellt die eine Seite des Geschlechtslebens der bürgerlichen Welt dar, die Prostitution die andere. […] Die Prostitution wird also zu einer notwendigen sozialen Institution für die bürgerliche Gesellschaft, ebenso wie Polizei, stehendes Heer, Kirche, Unternehmerschaft.“ (Bebel, die Frau und der Sozialismus)

Wer sich einen objektiven Blick auf die Ehe eingesteht, sieht schnell, dass

  1. die Ehe eine Institution des Patriarchats ist, die alleine der Weitergabe des Privateigentums von Mann zu Mann dient und
  2. der Großteil der Ehen in der Welt auch heute noch nicht aus angeblicher Liebe, sondern aus materiellen Zwängen eingegangen werden.

Es führt zu nichts, inmitten einer Klassengesellschaft, die durch und durch von der Ausbeutung einer Klasse durch die andere geprägt ist, nach einer auf “Liebe” basierenden Ehe zu suchen. Die Ehe ist eine Institution dieser Gesellschaft, sie ist “die kleinste Zelle des Staates”, wie Engels sagt.

In den Klassengesellschaften hat sich die Ehe für die Frau als Notwendigkeit entwickelt, um überleben zu können. Neben der Erledigung der Hausarbeiten ist die sexuelle Verfügbarkeit der Frau für den Mann eine der grundlegenden Abmachungen von Ehen. Wie patriarchal unsere Sexualität auch heute noch geprägt ist, sehen wir zum Beispiel am “Orgasm Gap”: Laut Studien kommen über 90% der Männer beim Sex regelmäßig zum Höhepunkt, jedoch nur 65% der Frauen. Im Patriarchat ist die weibliche Sexualität kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Befriedigung männlicher Bedürfnisse.

Zusammenfassend: In der Ehe wie in der Prostitution findet eine sexistische Ausbeutung der weiblichen Sexualität durch Männer statt. Die weibliche Sexualität wird in den Dienst des herrschenden Geschlechts gestellt. Wenn man der Ehe den schönen Schleier von (vorhandenen oder nicht vorhandenen) Liebesgefühlen, von gesellschaftlichen Traditionen und letztlich auch der allgegenwärtigen häuslichen Gewalt – physisch, psychisch, ökonomisch – entreißt, dann bleibt nicht viel mehr übrig als die nackte sexistische Ausbeutung der Frau. In der Regel gibt es einen materiellen Vertrag zum Lebensunterhalt auf der einen und zur Einwilligung in Sex und Leistung reproduktiver Arbeit auf der anderen Seite. Das ist die gleiche Grundlage wie bei der Prostitution.

Einen wichtigen Unterschied zwischen beiden gibt es jedoch: mit der Prostitution wird der Sex bzw. die sexuelle Dienstleistung zu einer Ware gemacht, die auf dem kapitalistischen Markt zum Tausch angeboten wird – wie man eben sagt: “Sex gegen Geld”. Die Sexarbeiterin geht also jeden Tag, wie jede andere Arbeiterin auch, auf den Markt und muss ihre Arbeitskraft verkaufen, um ihr Geld zu bekommen und überleben zu können.

Des Weiteren hat die Prostitution, wie vorhin schon angesprochen, im Kapitalismus ein immenses Ausmaß angenommen, indem die Sexarbeit industriell organisiert wird. Wir können also von einer Sexindustrie sprechen. In der Sexindustrie produzieren die Sexarbeiterinnen durch ihre Lohnarbeit einen Mehrwert für den Kapitalisten, der sie ausbeutet.

Allgemein wird die weibliche Sexualität heutzutage zu einem Gegenstand der Warenproduktion gemacht: In der Sexindustrie, in der Werbung, in der Unterhaltungsindustrie etc. wird überall aus der weiblichen Sexualität Profit gezogen.

Die Sexarbeiterin wird also gleichzeitig sexistisch und als Lohnarbeiterin ausgebeutet.

Ist Sexhandel Vergewaltigung?

Zunächst muss gesehen werden, dass wir allgemein von einem Phänomen der gesellschaftlichen Vergewaltigung des Körpers der Frau sprechen können. Stichwort: “Rape Culture.” Durch die Existenz der Sexindustrie, durch die patriarchale Ehe, durch die Verherrlichung von Gewalt gegen Frauen in Werbung, Musik, Film, durch die Straffreiheit der Täter, etc.: Vergewaltigung ist ein Teil dieser abstoßenden patriarchalen kapitalistischen Gesellschaft. Neben dieser allgemeinen Realität ist Vergewaltigung jedoch eine ganz konkrete Situation, ein ganz konkretes Erlebnis von Gewalt, wenn ein Mann sich über den Willen und das Einverständnis einer anderen Person zum Sex hinweg setzt. Auch unter den Bedingungen der Sexarbeit kann eine Frau dem Sex zustimmen oder ihn ablehnen. Diese Selbstbestimmung darf ihr auf keinen Fall aberkannt werden: Ohne diese Möglichkeit der Selbstbestimmung ist die Frau kein handelndes Subjekt mehr, sondern ein Objekt. Die Antwort auf die Frage, ob eine Frau in einer Situation vergewaltigt wurde oder nicht, sollte die Frau selbst geben können – ob sie Sexarbeiterin ist oder nicht.

3. Sexarbeit ist Arbeit!

Die Frage, ob Sexarbeiterinnen “normale Lohnarbeiterinnen” sind, wird in feministischen wie auch marxistischen Bewegungen viel diskutiert. Entscheidend ist hier, objektiv an das Thema heranzugehen und sich nicht von moralischen Vorstellungen leiten zu lassen. Betrachten wir die Argumente in dieser Debatte etwas genauer:

“Aber Sexarbeit ist so grausam, das kann man nicht mit anderer Arbeit vergleichen!”

Die Definition einer Arbeit ist nicht vom “Grad der Ausbeutung” abhängig, sondern von den objektiven Bedingungen. Wenn wir eine Arbeit von ihrer Brutalität her definieren würden, dann müssten wir auch bei Minenarbeiterinnen diskutieren, ob ihre Arbeit überhaupt Arbeit oder doch schon Sklaverei ist. Es geht hierbei nicht darum, die besonderen Ausmaße der Gewalt, die Sexarbeiterinnen erleben, klein zu reden. Aber das ist eben nicht der Maßstab zur Definition von Lohnarbeit.

Laut der Polizei Hamburg geben 90-95% der Sexarbeiterinnen an, aus unterschiedlichen Zwängen heraus dieser Arbeit nachzugehen. Das ist jedoch der allgemeine Charakter der “freien Arbeit” im Kapitalismus: eine Arbeiterin hat nichts zu verkaufen als ihre Arbeitskraft und arbeitet zwar als “freie Arbeiterin”, jedoch eigentlich als Lohnsklavin.

“Sexarbeit ist Sklaverei!”

Prinzipiell ist jede Lohnarbeit Lohnsklaverei. Alle Arbeiter:innen sind zur Lohnarbeit gezwungen, um überleben zu können. Wenn wir allgemein trotzdem einen Unterschied zwischen Lohnarbeit und Sklaverei machen, dann müssen wir dies auch im Bereich der Sexindustrie tun.

Der sogenannte IS hat etliche jesidische Frauen zu seinen Sexsklavinnen gemacht, auch in Europa gibt es unzählige Sexsklavinnen; z.B. migrantische Frauen, die mit großen Versprechen nach Deutschland gelockt werden, deren Pässe ihnen dann abgenommen und verbrannt werden. Sexsklavinnen werden durch ständige Erpressungen, Drogennutzung und rohe Gewalt zur Sexarbeit gezwungen, bekommen keinerlei Lohn als Anteil am Gewinn und haben keinerlei Möglichkeit, einen Chef zu verlassen und ihre Arbeitskraft einem anderen anzubieten. Eine Sexarbeiterin kann sich entscheiden, ihre Arbeitskraft an einen Chef, statt an den anderen zu verkaufen. Eine Sexsklavin hat – wie Sklav:innen allgemein – keine solche Möglichkeit. Wenn sie den „Besitzer” wechselt, dann verkauft sie nicht ihre Arbeitskraft von einem Kapitalisten an den anderen, sondern sie wird mit ihrem gesamten Körper von einem Kapitalisten an den anderen verkauft. Sexarbeiterinnen und Sexsklavinnen über einen Kamm zu scheren würde nicht nur der Realität nicht entsprechen, es würde auch zu falschen politischen Schlussfolgerungen führen: Der Kampf einer Arbeiterin gegen ihren Chef gestaltet sich grundlegend anders als der Kampf einer Sklavin gegen den Sklavenhalter.

„Aber die Sexarbeiterin produziert doch nichts!”

Die Idee, jede Arbeit führe zu einem Produkt, ist sehr engstirnig: Nicht jede Lohnarbeiterin ist Tischlerin und hat zum Schluss einen fertigen Tisch in der Hand oder Maurerin und hat am Ende ihrer Arbeit eine Mauer gebaut. Was produziert eine Musikerin? Oder eine Masseurin? Genau wie die Sexarbeiterin eine Dienstleistung zur Befriedigung eines Bedürfnisses zur Verfügung stellt, so tut es auch die Masseurin.

Ein Blick in Marx’ Theorien über den Mehrwert kann hier zu mehr Verständnis helfen:

Ein entrepreneur von Schauspielhäusern, Konzerten, Bordellen usw. kauft die temporäre Verfügung über das Arbeitsvermögen der Schauspieler, Musikanten, Huren etc..“ (Marx, Theorien über den Mehrwert)

Marx’ zu Dienstleister:innen allgemein:

„2. Die Produktion ist nicht trennbar von dem Akt des Produzierens wie bei allen dienstleistenden Künstlern, Rednern, Schauspielern, Lehrern, Ärzten, Pfaffen etc.

Auch hier findet kapitalistische Produktionsweise nur in geringem Umfang statt und kann der Natur der Sache nach nur in einigen Branchen stattfinden.

Z. B. bei Unterrichtsanstalten können die Lehrer bloße Lohnarbeiter für den Unternehmer der Unterrichtsanstalt sein, wie derartige Unterrichtsfabriken zahlreich in England existieren. Obgleich sie den Schülern gegenüber keine produktiven Arbeiter sind, sind sie es ihrem Unternehmer gegenüber. Er tauscht sein Kapital gegen ihre Arbeitsvermögen und bereichert sich durch diesen Prozess.

Ebenso bei Unternehmungen von Theatern, Vergnügungsanstalten usw. Dem Publikum verhält sich hier der Schauspieler gegenüber als Künstler, aber seinem Unternehmer gegenüber ist er produktiver Arbeiter.

Alle diese Erscheinungen der kapitalistischen Produktion auf diesem Gebiet sind so unbedeutend, verglichen mit dem Ganzen der Produktion, dass sie gänzlich unberücksichtigt bleiben können.“ (Marx, Theorien über den Mehrwert I, MEW 26.1, 385f.)

Marx’ Bewertung über die Bedeutung von Dienstleistungen kann in unserer Zeit vielleicht anders diskutiert werden. Grundlegend können wir jedoch folgendes aus seinen Ausführungen ziehen:

  1. Die Sexarbeit ist eine Dienstleistung; die Sexarbeiterin verkauft ihre Arbeitskraft als Ware an ihren Kunden. Diese Ware muss keinen gesellschaftlichen Nutzen haben, den Warencharakter gewinnt sie durch den Austausch auf dem Markt.
  2. Die Ware, die sie produziert, ist vergänglich und an die Dienstleisterin gebunden wie z.B. auch bei Musik – trotzdem ist die Dienstleisterin eine Arbeiterin: Maß dafür ist die Vergrößerung des Kapitals der Kapitalisten (der Mehrwert aus der Arbeit der Arbeiterin), nicht die Nützlichkeit der Ware für die Gesellschaft.

4. Trans Personen in der Sexindustrie

In Deutschland sind 93% der Sexarbeiterinnen Frauen, 4% Männer und 3% trans Personen. Der Anteil der trans Personen mag auf den ersten Blick gering erscheinen. Wenn man jedoch einrechnet, dass trans Personen ein verschwindend geringer Teil der Bevölkerung sind, sieht das Bild jedoch anders aus: in einer Internetbefragung in Deutschland aus dem Jahr 2020 gaben 15,4% der befragten trans Personen an, einer “Tätigkeit im Bereich der Sexarbeit” nachzugehen. Dabei ist der Anteil der trans Frauen in diesem Bereich wiederum höher als derjenige der trans Männer: Aus einer Studie der Trans National Discrimination Survey aus den USA im Jahr 2015 ergab sich, dass 7,1% der trans Männer und nichtbinären Personen einer Tätigkeit in der Sexarbeit nachgehen. Dies zeigt:

  1. allgemein gesehen ist der Anteil der Sexarbeitenden in der trans Community sehr viel höher als bei nicht-trans Personen.
  2. innerhalb der trans Community wiederum sind besonders trans Frauen in der Sexarbeit

Für viele trans Personen ist die Sexarbeit aufgrund der Diskriminierung, die sie erfahren, die einzige Möglichkeit, eine Arbeit zu finden und um über die Runden zu kommen. Des Weiteren hält sich auch innerhalb der trans Community die patriarchale Ordnung aufrecht, die insbesondere trans Frauen in die Sexarbeit drängt.

Durch diese Ghettoisierung von trans Menschen und die Verdrängung in die Sexarbeit sind die Probleme der Sexarbeit sehr präsente Probleme der trans Community. Im “Trans Manifest” des türkischen Vereins für die Rechte von trans Menschen “pembe hayat (rosa Leben)” wird es treffend ausgedrückt:

“Wir wollen keine befreiten Gebiete, wir wollen die ganze Stadt!

Kleine Städte versprechen uns kein Glück und keine Freiheit, sie geben uns nicht das Recht zu leben. Wir müssen in die Großstädte ziehen, um dort zu leben. Wir weigern uns, in den Metropolen, in die wir einwandern, in Nächte und Ghettos gezwängt zu werden. Wir werden Transphobie im öffentlichen Raum offenlegen. Wir sind dagegen, dass Transsexuelle gezwungen werden, auf bestimmten Straßen zu arbeiten und zu leben. Wir wollen die ganze Stadt, keine Ghettos! Wir wollen sogar das Recht, in allen Städten zu leben!”

Der Kampf gegen die Ausbeutung in der Sexindustrie ist dadurch auch ein wichtiges Feld des gemeinsamen Kampfes der Frauen- und LGBTI+ Bewegung. Auch hier zeigt sich wieder: Die Probleme der Sexarbeiterinnen können nicht isoliert verstanden werden. So wie wir Ehe und Prostitution als zwei Seiten einer Medaille besprochen haben, müssen wir auch die prekären Bedingungen der trans Sexarbeiterinnen im Rahmen der allgemeinen Diskriminierung und des Freiheitskampfes von LGBTI+ Personen sehen.

5. Spielt der Kampf gegen die Ausbeutung in der Sexarbeit wirklich eine Rolle im Befreiungskampf der Frau?

Es mag ja schön und gut sein, das alles zu wissen und zu verstehen, aber wie relevant ist das Geschehen in den isolierten Rotlichtvierteln wirklich für die Massen der Frauen? Diese Frage wird immer wieder abschätzig gestellt. Die Frage an sich ist schon aus verschiedenen Gründen völlig falsch:

a)    Die Sexindustrie ist keine isolierte Parallelwelt.

Wie schon zu Beginn des Artikels beschrieben befindet sich die Sexindustrie in einem ständigen Wachstum und ist ein Sektor mit einem beträchtlichen Gewinn, der allein aus diesem ökonomischen Aspekt heraus schon einen großen Einfluss auf die Gesellschaft hat. Außerdem, wie auch schon vorher angeschnitten wurde, ist die Ausbeutung und Gewalt, die Sexarbeiterinnen erleben, nicht auf sie allein beschränkt: Allein die Existenz dieses gigantischen Wirtschaftssektors, die Allgegenwärtigkeit der Werbung dafür etc. verändern die Lebensbedingungen aller Frauen. Die ständige Verfügbarkeit von Sex gegen Geld für Männer verändert die Beziehung zwischen den Geschlechtern auf gesellschaftlicher Ebene. Nicht zuletzt muss in Betracht gezogen werden, dass das eigentliche Problem der Sexarbeit niemals die Hunderttausenden Frauen waren, die die Arbeit betreiben, sondern die Millionen von Männern, die täglich Sexarbeit kaufen. Das gesellschaftliche Problem liegt bei ihnen. Laut Statistiken aus dem Jahr 1990 sind ca. 18% der geschlechtsreifen Männer dauerhaft aktive Sexkäufer. Während die Sexarbeiterinnen ghettoisiert und verdrängt werden, sind es eben diese Männer, die nach dem Besuch im Bordell zu ihrer Familie nach Hause gehen und mit ihrer unmenschlichen Beziehung zu Frauenkörpern als Ware „mitten im Leben” stehen. Das folgende Zitat eines Stuttgarter Freiers veranschaulicht dieses Verhältnis treffend:

„Wenn man in so einen Club geht, ist man mit normalen Frauen nicht mehr zufrieden. Die Figuren! Meine Tochter? Sie ist 26, ich achte darauf, dass die Frauen mindestens 27 sind. Viele hier haben Zuhälter, ich habe selbst gesehen, wie sie abkassierten.“ Joachim, 58, Ingenieur, getrennt, 1 Tochter

b)    Der Befreiungskampf der Frau muss sich auf alle grundlegenden Bereiche der Ausbeutung der Frau erstrecken.

Um die patriarchale Ausbeutung zu beenden, müssen wir sie in allen Bereichen beenden. Dafür müssen wir in allen Bereichen dagegen kämpfen: Sei es die sexuelle oder Arbeitsausbeutung im Haus oder außerhalb davon. Dabei ist erstmal irrelevant, ob die sexuelle oder die Lohnausbeutung gravierender ist, ob Frauen mehr im Haus oder außerhalb davon ausgebeutet werden. Es hat auch noch niemand behauptet, ein Teil der Arbeiter:innenklasse müsse nicht befreit werden, weil eine Branche kleiner ist als die andere. Natürlich kann es strategisch wichtigere und strategisch weniger wichtige Bereiche geben, aber niemand würde auf die Idee kommen zu sagen, wir sollten uns nicht mit den Problemen der Minenarbeiter:innen beschäftigen, weil die Tischler:innen eine größere Gruppe sind. Das macht schlicht keinen Sinn. Warum also so viel Widerstand gegen eine Auseinandersetzung von Revolutionär:innen mit der Befreiung von Sexarbeiterinnen, warum so viel Widerstand gegen eine Organisation von Sexarbeiterinnen?

In der ersten Phase der Arbeiter:innen- und Frauenbewegung mussten die Frauen mit Händen und Füßen um ihr Recht auf gewerkschaftliche Organisierung kämpfen. Weibliche Arbeiterinnen hätten in den Gewerkschaften nichts zu suchen. Dann hatten die Lohnarbeiterinnen ihr Recht auf Organisation erkämpft. Mit der zweiten Welle der Frauenbewegung wurde die Hauswerktätigkeit von Frauen vermehrt zum Thema. Auch hier hieß es, Hausarbeit sei keine Arbeit, Organisierung von hauswerktätigen Frauen mache keinen Sinn, da sie kein Teil der gesellschaftlichen Produktion seien etc. Auch hier haben wir Frauen unser Recht zur Organisierung erkämpft.

Heutzutage stehen die Vermarktung und Ausbeutung der weiblichen Sexualität sowie die Sexindustrie vermehrt im Visier. Und wieder ein Aufschrei! Die Ausbeutung der Frau in allen drei oben genannten Formen ist durch die objektiven gesellschaftlichen Bedingungen selbst schon komplett sichtbar geworden. Und trotzdem versucht der patriarchale Standpunkt in der revolutionären Bewegung vehement, diese Ausbeutung wieder unsichtbar zu machen und eine weitere Organisierung der werktätigen Frauen zu verhindern.

6. Welche Lösungen bietet der Feminismus?

Die feministische Bewegung ist in der Frage der Sexarbeit zutiefst gespalten. Allgemein kann man in zwei Lager trennen: auf der einen Seite die abolitionistischen Feministinnen, meist Radikalfeministinnen wie z.B. Alice Schwarzer. Auf der anderen Seite die “sex work-positiven” Feministinnen, eine Position, die besonders in den letzten Jahren mit postmodernen feministischen Bewegungen an Bekanntheit gewonnen hat.

a)    sex work-positiver Feminismus

Sex work-positiver Feminismus betont in erster Linie die freie Entscheidung einer Frau, Sexarbeiterin zu werden und plädiert für eine Legalisierung und Normalisierung der Sexarbeit. Sie sehen das Recht, Sex und Pornographie zu konsumieren wie auch anzubieten, als einen Teil der sexuellen Selbstbestimmung. Ihr Lösungsansatz ist in erster Linie eine Normalisierung der Sexarbeit, sodass die Sexarbeiterinnen auf geregelte Weise ihrer Arbeit nachgehen können und der Gewalt gewisse Schranken gesetzt werden können.

Von einem revolutionären Standpunkt ist diese Argumentation löchrig: inwiefern ist die Ausbeutung und Kommerzialisierung der weiblichen Sexualität ein Teil der sexuellen Selbstbestimmung? Diese Sichtweise ist eine kapitalistische Verdrehung der Frauenbefreiung frei nach dem Motto: „Wenn Männer Sex konsumieren können, mit so einer Normalität wie andere Leute einen Morgenkaffee trinken, dann müssen wir Frauen einfach nur auch damit anfangen, um Gleichheit herzustellen”. Ein Geschlechtsbewusstsein und eine Analyse der gesellschaftlichen Hintergründe der Sexindustrie und der Auswirkungen dieser patriarchalen Ausbeutung auf die Leben aller Frauen fehlt in der Regel. Sex-work positiver Feminismus verkennt meist die hohe Gewalt, die in diesem Sektor gegen Frauen ausgeübt wird, er verkennt die dreifache Ausbeutung der Sexarbeiterinnen und nicht zuletzt den eben angesprochenen Einfluss der Sexindustrie auf die allgemeine Rolle der Frau in der Gesellschaft. Er betrachtet die Realität nur sehr eingeschränkt aus den Augen der wenigen freiwilligen selbstständigen Sexarbeiterinnen: diese machen in Deutschland jedoch nur 2-5% der Sexarbeiterinnen aus. Man muss nur einmal durch das Frankfurter Bahnhofsviertel laufen, um zu sehen, dass die Realität der meisten Sexarbeiterinnen nicht diesen 2-5% entspricht. Von ihrem Standpunkt aus kann keine Politik für alle Sexarbeiterinnen, geschweige denn für alle Frauen, gemacht werden.

b)    Abolitionistischer (Radikal)feminismus

Radikalfeministinnen wie EMMA/Alice Schwarzer und Terre des Femmes fordern ein komplettes Sexkaufverbot, bei dem die Käufer statt der Sexarbeiterinnen bestraft werden. Sie schlagen in der Regel das “nordische Modell” des Prostitutionsverbots aus Schweden vor. Sie erkennen die Rolle der Sexindustrie im Patriarchat, aber ihnen fehlt ein Klassenstandpunkt, um wirkliche Lösungen für die Sexarbeiterinnen anbieten zu können. Nicht umsonst betonen sie, dass der größte Teil der Sexarbeiterinnen aus Zwang heraus diese Arbeit betreibt, aber: Was sind ihre Alternativen? Woher sollen die ghettoisierten trans Frauen ihr Brot bekommen, wenn ihnen kein anderer Platz in der Gesellschaft gegeben wird? Wo sollen die Sexarbeiterinnen aus Rumänien hingehen, wenn sie in ihrer Heimat keine Perspektive haben und in Deutschland keinen Aufenthalt bekommen? So wie wir den Einfluss der Sexindustrie auf die Gesellschaft sehen müssen, dürfen wir auch die Sexindustrie nicht isoliert von der Gesellschaft sehen. Es gibt eine gesellschaftliche Grundlage der Armut und Ausbeutung von werktätigen Frauen, die sie in diese Arbeit hineindrängt. Das hochgepriesene nordische Modell hat nicht zuletzt auch dazu geführt, dass Migrantinnen aus Schweden abgewiesen wurden, da ihnen vorgeworfen wurde, für illegale Sexarbeit einzureisen.

7. Ein revolutionäres Programm zur Frauenbefreiung

Was ist die Perspektive der kommunistischen Frauen für die Frage der Sexarbeit?

Halten wir fest:

  1. Die Sexindustrie muss zerschlagen werden.

Die Zerschlagung der Sexindustrie mit all der täglichen Gewalt, die die Frauen dort erleben, ist eine wichtige Priorität für die Frauenrevolution. Der Vermarktung der weiblichen Sexualität muss ein Ende gesetzt werden, um wirklich freie geschlechtliche Beziehungen führen zu können.

  • Die Zerschlagung der Sexindustrie ist nur mit der Veränderung der Lebensbedingungen der proletarischen Frauen möglich.

Die Zerschlagung der Sexindustrie kann nur erfolgreich sein, wenn sie mit einer Frauenrevolution einhergeht, in welcher die nötigen ökonomischen und sozialen Bedingungen eines guten Lebens für die Frauen geschaffen und sichergestellt werden. Das ist der entscheidende Teil, der dem radikalfeministischen Programm fehlt. Durch die Revolution wird die Kapitalistenklasse enteignet und die unmenschliche Ausbeutung in Industrien wie der Sexindustrie wird beendet. Sexarbeiterinnen gegenüber wird eine positive Diskriminierung angewandt werden, wenn sie in andere Berufe gehen wollen, um ihnen den Einstieg dort zu ermöglichen und zu erleichtern.

Ein allgemeines Verbot der Prostitution kann nur umgesetzt werden, wenn die Gesellschaft auch in der Lage ist, allen Sexarbeiterinnen bessere Lebensumstände bieten zu können. Ansonsten ist die Gefahr, dass ein Verbot die Situation der Frauen, die Sexarbeit für ihr Überleben brauchen, sich noch weiter verschlechtert, zu groß.

  • Zur Gewährleistung und Leitung dieser Entwicklung müssen eigenständige Frauenstrukturen geschaffen werden.

Das Herzstück der Frauenrevolution ist die doppelte Macht: auf jeder Ebene der Gesellschaft Frauenebenen zu etablieren, schützt uns davor, dass die Errungenschaften der Frauenbefreiung einfach wieder zurückgenommen werden können. Werktätige Frauen müssen die Entscheidungen und Maßnahmen zu ihrer Befreiung selbst treffen können, damit diese auch wirklich ihren Interessen entsprechen. Frauenräte, die allen Frauen, natürlich einschließlich Sexarbeiterinnen, eine Möglichkeit zur Organisierung und Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft bieten, ermöglichen es, dass die Frauen selbst die entsprechenden Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Lage ergreifen.

Das fortschrittlichste Programm zur Frauenbefreiung können wir heutzutage bei der MLKP finden. In ihrem Programm für die demokratische Revolution in der Türkei und Kurdistan geht sie in mehreren Punkten auf die Frage der Sexarbeit ein. Dieses Programm ist natürlich auf die politischen Bedingungen vor Ort angepasst: Die Türkei ist ein finanzökonomisch abhängiges Land, welches zwar ein formal eigenständiger Staat ist, aber eigentlich komplett von ausländischem Kapital imperialistischer Staaten abhängig ist. Ein Großteil der Wirtschaft wird von ausländischen imperialistischen Monopolen bestimmt, deshalb muss sie ihre Politik auch nach dem Willen dieser Imperialisten ausrichten. Gleichzeitig herrscht dort seit langem ein faschistisches Regime. Eine der bestimmendsten gesellschaftlichen Fragen ist die koloniale Ausbeutung und Unterdrückung Kurdistans – die nationale Frage ist nicht geklärt. Deshalb schlägt die MLKP als nächsten Schritt eine antiimperialistische, antifaschistische, antikoloniale, geschlechterbefreiende demokratische Revolution vor. Für solch eine Revolution kann die Arbeiter:innenklasse sich mit anderen Unterdrückten wie z.B. der kurdischen nationalen Befreiungsbewegung gegen den Faschismus vereinen. Diese demokratische Revolution schafft gleichzeitig eine neue Grundlage für die sozialistische Revolution. Im Hinblick auf die Geschlechterbefreiung werden mit den folgenden vorgeschlagenen Maßnahmen wichtige Schritte wie z.B. Frauenräte in die Wege geleitet. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir mit diesen Maßnahmen vollständige Befreiung der Frau erreichen könnten. Eine der grundlegenden Bedingungen für den Sieg der Frauenrevolution ist die Abschaffung des Privateigentums und der Klassenausbeutung – die demokratische Revolution ist ein Zwischenschritt, bei dem z.B. das imperialistische Monopolkapital enteignet wird. Für die vollständige Umsetzung der Frauenrevolution braucht es jedoch den Sozialismus.

Zur Frage der Sexarbeit schreibt die MLKP in ihrem Programm folgendes:

5- Als Garantie für die Verwirklichung des neuen Gesellschaftsaufbaus im Sinne der Frauenemanzipation müssen die Frauen ihre eigene soziale Struktur selbständig organisieren; neben der gleichberechtigten Vertretung in allen Institutionen wird eine Vereinigung von Arbeiterinnen und werktätigen Frauen gegründet, eine Frauenarmee und -miliz gebildet. Für sexuelle Straftaten werden Sondergerichte eingerichtet, die mit Frauen und LGBTI+-Personen besetzt sind. Bei allen Tätigkeiten der Union der Volksrepubliken auf dem Gebiet der Frauenemanzipation, einschließlich der Beseitigung der Sexindustrie, der Vergesellschaftung der Hausarbeit, der Regelung des wirtschaftlichen, politischen und sozialen Lebens der Arbeiterinnen, werden alle Rechte, einschließlich der Gesetzgebungsbefugnis, den Frauenversammlungen zustehen.

33- Es wird ein wirksamer Kampf gegen die Sexarbeit geführt, welcher in erster Linie Schritte unternimmt, um die Arbeit der Frau von der häuslichen Sklaverei zu befreien und in Richtung des gesellschaftlichen Lebens zu leiten. Um Sexarbeiterinnen zu ermöglichen, in verschiedenen Sektoren zu arbeiten, wird die Union der Volksrepubliken kontrollieren, dass in allen ökonomischen Betrieben eine positive Diskriminierung gegenüber Sexarbeiterinnen bei der Vergabe von Arbeitsplätzen ausgeführt wird. Bis zur vollständigen Abschaffung der Sexarbeit werden die Arbeits- und Sozialrechte von Sexarbeiterinnen garantiert. Der Handel mit Sexsklavinnen wird verboten und der Zwang von Frauen und LGBTI+ in die Sexsklaverei wird bestraft. Kinder in der Sexindustrie zu nutzen wird zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt.

35- Es wird eine positive Diskriminierung gegenüber LGBTI+, Sexarbeiterinnen und allen gesellschaftlich stark diskriminierten Gruppen im Hinblick auf den Zugang zu allen gesellschaftlichen Möglichkeiten wie Arbeit, Wohnen, Bildung, Verkehrt usw. durchgeführt.

Da die MLKP eine Partei für die Türkei und Kurdistan ist, können diese programmatischen Punkte nicht unbedingt zu 100% auf Deutschland bezogen werden. Wie bereits gesagt, sind diese Maßnahmen gedacht für die demokratische Revolution, für die in der Türkei und Kurdistan momentan gekämpft wird. In Deutschland müssen Kommunistinnen natürlich darüber diskutieren, ob in einem hoch entwickelten Land wie Deutschland z.B. nach einer sozialistischen Revolution die Bedingungen für die sofortige Abschaffung der Sexarbeit gegeben sind oder ob gewisse Zwischenmaßnahmen wie in diesem Programm vorgeschlagen erforderlich sind.

Entscheidende Punkte sind jedoch:

  1. Die Zerstörung des patriarchalen kapitalistischen Systems als Grundlage für die Abschaffung der Sexarbeit.
  2. Die Etablierung von Frauenstrukturen zur Garantie der Frauenrevolution und zur Garantie z.B. der Maßnahmen zur Abschaffung der Sexarbeit.

Nur mit diesen Grundlagen können wir die Ausbeutung der Frau in der Sexarbeit wie in jedem anderen Bereich der Gesellschaft nachhaltig beenden. Kurzum: Kampf der Ausbeutung in der Sexindustrie muss Kampf für Sozialismus und Frauenrevolution bedeuten.

8. Und jetzt?

Wir sind uns also darüber klar geworden, wie wir die Ausbeutung der Frau in der Sexarbeit beenden können: nur durch die Zerstörung des Kapitals, welches die Frauen in der Sexindustrie ausbeutet, um daraus Profit schlagen zu können, mithilfe einer sozialistischen Revolution. Gleichzeitig mit einer Frauenrevolution, welche die sexistische Ausbeutung der Frau innerhalb wie außerhalb des Hauses beendet. Unter Bedingungen von Zwischenstufen wie einer demokratischen Revolution, in welchen die Macht im Staat schon in den Händen des Volkes liegt, ohne jedoch den Schritt zum Sozialismus schon erfüllt zu haben, müssen den Bedingungen entsprechende Zwischenmaßnahmen wie oben beschrieben ergriffen werden.

Aber was machen wir jetzt, unter den Bedingungen des Kapitalismus? Die Hände in den Schoß legen und auf eine magische Befreiung warten?

So wie wir gegen jede Unterdrückung kämpfen, ist es die Pflicht eines:r jeden Kommunist:in, auch heute schon gegen die Ausbeutung in der Sexindustrie zu kämpfen. Das bedeutet konkret, die aktuellen Forderungen der Sexarbeiterinnen nach z.B. einem Ende der Ghettoisierung oder der Garantie eines grundlegenden Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu unterstützen. Dies ist auch keine neue Erkenntnis, sondern Kommunist:innen haben das schon seit langem erkannt:

„Diesen Richtlinien entsprechend, haben die kommunistischen Parteien einzutreten: […] B. In allen Ländern, in denen das Proletariat noch um die Eroberung der politischen Macht kämpft: […] 15. Für wirtschaftliche und soziale Maßnahmen zur Bekämpfung der Prostitution; für hygienische Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten; für Aufhebung der sozialen Ächtung der Prostituierten; für die Überwindung der zweierlei geschlechtlichen Moral für Mann und Weib.“ (Clara Zetkin: Richtlinien für die kommunistische Frauenbewegung, 1920)

Zum einen kämpfen wir natürlich für eine Verminderung des Leidens durch verschiedene verbessernde Maßnahmen, zum anderen dienen diese Kämpfe natürlich auch zur Mobilisierung und Organisierung der Sexarbeiterinnen gegen ihre Ausbeuter und gegen Patriarchat und Kapitalismus. Es darf jedoch nicht dabei stehen geblieben werden, von außen Forderungen aufzustellen und alles besser zu wissen. Im Gegenteil ist es von großer Bedeutung, eine kämpferische Organisierung von Sexarbeiterinnen zu schaffen bzw. solche Organisationen zu unterstützen. Sexarbeiterinnen müssen selbst Subjekt des Kampfes gegen die Sexindustrie sein.

Quellen:

https://de.statista.com/infografik/20104/in-deutschland-gemeldete-prostituierte

https://tubf.de/prostitution/

https://web.de/magazine/wirtschaft/milliardenumsatz-schattengewerbe-zahlen-fakten-prostitution-deutschland-31478544

https://www.derstandard.de/story/2000133412716/orgasm-gap-wie-erleben-frauen-sexualitaet-in-der-beziehung

https://www.bettinaflitner.de/portfolio-1/freier-johns

https://www.cornelia-mertens.de/?p=16336

https://www.pembehayat.org/hakkimizda/detay/4/trans-manifesto

https://www.ywcascotland.org/feminism-and-sex-work-sex-work-as-work/

https://www.lightup-movement.de/hard-facts/prostitution

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Sex-positiver_Feminismus

Das schwedische Sexkaufverbot: Beanspruchte Erfolge und dokumentierte Effekte – Susanne Dodillet und Petra Östregren

MLKP Programm des 6. Parteitages

Theorien über den Mehrwert – Karl Marx