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Kapitalismus, Korruption, Katar WM

Heute startet in Katar die Fußball Weltmeisterschaft. Wie jedes Mal, wenn es auf eine Welt- oder Europameisterschaft zugeht, wird auch dieses Jahr von vielen Seiten versucht Vorfreude zu verbreiten. Das klappt dieses Jahr jedoch längst nicht so gut, wie in den Jahren zuvor. Das liegt nicht nur daran, dass die WM im Winter stattfindet, sondern hat vor allem mit den Umständen, unter denen das Turnier stattfindet, zutun. Gründe, dem Fußball und dem Geschäft, das sich in den letzten Jahren immer mehr um den Sport entwickelt, den Rücken zuzukehren gibt es genug. Mit der Vergabe der WM nach Katar sind nochmal zahlreiche Gründe dazugekommen.

Korrupte FIFA

Das Drama um die Fußball-WM in Katar begann schon im Jahr 2010. Damals berief die FIFA, die größte Fußball-Dachorganisation und Organisator der Weltmeisterschaft, ein Treffen ein, um über die Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 abzustimmen. Über die Vergabe entscheidet das FIFA-Exekutivkomitee, dass sich aus den Vorsitzenden von Fußballverbänden von jedem Kontinent zusammensetzt. Diese Vorsitzenden sind an sich in der Regel schon ohne jegliche demokratische Legitimation an diese Stelle gekommen: Vorsitzender wird, wer im Land beliebt ist, wer Einfluss hat oder einflussreiche Menschen um sich versammelt oder wer genug Geld aufbringt sich den Vorsitz zu erkaufen. Demokratisch gewählt ist keiner dieser Vorsitzenden. Ein kleiner Blick über die Vorsitzenden zeigt das: Vorsitzender des asiatischen Fußballverbands ist Salman Bin Ibrahim Al-Khalifa, Mitglied der Königsfamilie von Bahrain, Vorsitzender für Europa ist unter anderem Sándor Csányi, ein ungarischer Milliardär, CEO der größten ungarischen Bank und eine der größten Finanzgruppen Osteuropas und Anteilseigner der MOL Group, einem Öl- und Gasunternehmen. An der Spitze des afrikanischen Fußballverbands steht Patrice Motsepe, ebenfalls Milliardär und Besitzer von African Rainbow Minerals, einem Unternehmen, dass sein Geld mit der Ausbeutung von Arbeiter:innen für Platin, Gold, Nickel, Kupfer, Eisen und Kohle verdient. Und diese Liste ließe sich lange so weiter führen. Das Sagen bei der FIFA haben reiche, korrupte Kapitalisten, die mit ihrer Position noch ein paar Nebenverdienste einfahren wollen.

Gekaufte WM – Mal wieder

Und so kam es dann auch bei der WM-Vergabe für Katar dazu, dass sich Stimmen erkauft wurden. Schon vor der offiziellen Abstimmung wurden zwei Mitglieder von der Abstimmung ausgeschlossen, weil bekannt wurde, dass sie ihre Stimmen verkauft hatten. Bei drei weiteren Fällen wurde zweifelsfrei belegt, dass auch sie ihre Stimmen verkauften und für Katar stimmten, diese drei Stimmen waren ausschlaggebend für die WM-Vergabe nach Katar. Doch nicht nur reiche Leute machten mit der WM-Vergabe Geschäfte: 2010 trafen sich der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy, der damalige Chef des europäischen Fußballverbands Michel Platini und der Emir, also das Staatsoberhaupt von Katar, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, kurz vor der Abstimmung im französischen Präsidentenpalast um Gespräche zu führen. Das Ergebnis dieses Gesprächs: Katar kaufte zuerst 24 französische Kampfflugzeuge im Wert von über 6 Milliarden Euro. Wenig später stieg Katar bei dem damals noch extrem schlechten Lieblingsverein von Präsident Sarkozy, Paris Saint-Germain ein und investierte Milliarden, um den Verein heute zu einem der besten der Welt zu machen – und – der Franzose Michel Platini stimmte für Katar als Gastgeber ab.

Auch hier ist das alles nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt zahlreiche weitere Belege, wo einflussreiche Fußballfunktionäre Geschenke erhalten haben, katarische Unternehmen als Sponsoren bei Fußballvereinen eingestiegen sind oder völlig überhöhte Beträge für Übertragungsrechte von bestimmten Fußballspielen oder -ligen bezahlt wurden.

Sklaverei, Ausbeutung und Repression

Die Vergabe der WM 2022 nach Katar war dabei nur der Startschuss einer Geschichte von Korruption und Ausbeutung von Mensch und Natur. 

Katar liegt inmitten der Wüste, im Sommer herrschen dort über 40 Grad und auch jetzt ist es dort immer noch heiß, Stadien, in denen man Fußball spielen kann, gab es bis vor kurzem bis auf eine Ausnahme nicht. Und so begann mit der WM-Vergabe ein riesiges Projekt zum Bau neuer Infrastruktur für das Großevent: Neue Stadien, die wegen der hohen Temperaturen dauerhaft klimatisiert sein müssen, Hotels, Trainingsplätze, Flughafenumbau, neue Straßen und U-Bahnen. Insgesamt soll die WM über 200 Milliarden Euro gekostet haben. 

Beim Bau dieser ganzen Infrastruktur setzten die Unternehmen, zu denen im übrigen auch deutsche Konzerne, wie Hochtief, Siemens oder Züblin gehören, massenhaft Arbeiter:innen aus anderen Ländern in der Region um Katar ein. In Katar herrscht ein System das „Kafala“ heißt. In diesem System braucht jede:r ausländische:r Arbeiter:in einen Bürgen aus Katar, also jemanden der, grob gesagt, Verantwortung für den oder die ausländische Arbeiter:in übernimmt. Will eine Person den Job wechseln oder das Land wieder verlassen, braucht es die Einwilligung des Bürgen. In Katar sind es in der Regel Konzerne die die Bürgschaft für die Arbeiter:innen übernehmen, die Arbeiter:innen arbeiten dadurch praktisch als Sklaven. 

Die Unternehmen nehmen den Arbeiter:innen die Pässe ab, lassen sie nicht ausreisen oder den Arbeitsplatz wechseln. Vielen Arbeiter:innen wurden die Löhne viel zu spät oder oft auch gar nicht ausgezahlt. Die Arbeiter:innen die im Rahmen der Arbeiten für die Fußball-WM gearbeitet haben mussten mit bis zu 20 Personen in winzigen Zimmern schlafen, einen Großteil ihres mickrigen Lohns für die Miete dieses Zimmers an das Unternehmen, das sie beschäftigt, abdrücken. Auf der Baustelle müssen sie bei über 50 Grad im Schatten bis zu 14 Stunden oder mehr arbeiten – das alles ohne jeglichen Arbeitsschutz. Allein bei den Bauarbeiten für die WM sind über 15.000 Arbeiter:innen gestorben, weil sie in der Hitze zusammengebrochen, von Gerüsten gefallen oder auf andere Weise auf den Baustellen verunglückt sind. Die Konzerne sind des tausendfachen Arbeitsmordes schuldig, Konsequenzen gab es bisher jedoch keine. Die FIFA hält, obwohl es dokumentierte Zeugenberichte gibt, bis heute daran fest, dass nur 3 Arbeiter:innen während der Bauarbeiten gestorben sind.

Oft genug kam es dazu, dass Arbeiter:innen sich gegen die Ausbeutung aufgelehnt haben und gestreikt und Demos veranstaltet haben. Die Reaktion darauf war immer dieselbe: Der Staat nahm die Demonstrierenden immer wieder fest, steckte sie ins Gefängnis und schob sie dann in ihre Heimatländer ab.

Und die Folgen? 

Anders als bei vorherigen Events, gibt es bei dieser Weltmeisterschaft Gegenwind von allen Seiten. In den bürgerlichen Medien gibt es seit Wochen Berichte, die über die WM und die Situation um sie herum berichten, zu offensichtlich sind die Verbrechen, die begangen wurden. Doch außer ein paar kritischer Worte passiert in der Medienwelt nicht wirklich was. Die WM wird im Fernsehen übertragen und die FIFA nimmt Milliarden mit dem Verkauf der TV-Rechte ein und alles in allem herrscht dann doch wieder das Bild einer spannenden WM, auf die man sich gefälligst zu freuen hat. Das ganze Drumherum soll man da zumindest für den Zeitraum der Spiele ausblenden.

Auch Katar selbst darf sich freuen. Neben den 20 Milliarden Euro, die die Weltmeisterschaft ihnen einbringen wird, ist das Turnier vor allem eins: Eine riesige Image-Kampagne. Durch die WM, aber auch viele Sponsorings bei großen Vereinen in den letzten Jahren will sich Katar als offenes Land präsentieren und hofft so auch in den kommenden Jahren besser dazustehen, mehr Tourist:innen ins Land zu locken und auf politischer Ebene als ernstzunehmender und zuverlässiger Handelspartner wahrgenommen zu werden. An der Lage im Land wird das Image jedoch wenig ändern. In Katar gibt es neben den katastrophalen Arbeitsbedingungen auch kaum Rechte für Frauen und LGBTI+.  Frauen sind zu großen Teilen immer noch aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und brauchen zum Beginn eines Studiums, um zu Arbeiten oder zu Reisen die Erlaubnis eines Mannes. Bei einer Vergewaltigung werden Frauen wegen „außerehelichen Geschlechtsverkehr“ zu Haftstrafen verurteilt, wenn der Täter behauptet das die Frau dem „Sex“ zugestimmt hat. Wie in jedem anderen Land gibt es für Frauen in Katar von Seiten des Staates keine Möglichkeit sich gegen sexualisierte Gewalt zu wehren. Homosexualität ist in Katar illegal und steht unter Strafe, immer wieder werden Menschen ohne jeden Prozess festgenommen, über Monate eingesperrt, bei den Festnahmen verprügelt und gefoltert. Dass auch die WM daran nichts ändern wird, zeigt nicht erst die Aussage des WM-Botschafters Khalid Salman, der Homosexualität erst vor zwei Wochen als „geistigen Schaden“ bezeichnete. Auch in den letzten Monaten kam es in Katar regelmäßig zu Festnahmen und Gewalt gegen LGBTI+. 

In der Fanszene hat die Vergabe der WM einiges bewegt. Aus den verschiedensten Fanlagern hat sich vor einiger Zeit die Initiative „#BoycottQatar2022“ gegründet. Die Initiative bezieht klar Stellung gegen die Ausbeutung der Arbeiter:innen und die menschenverachtende Politik Katars aber auch der FIFA und ruft dazu auf die Spiele, aber auch die Fernsehübertragungen der WM zu boykottieren. Die Initiative schaffte es so das Thema in den Köpfen aller Fußballfans zu verankern, wirklich etwas an der Lage verändern wird jedoch auch diese Kampagne, die vor allem an den DFB (Deutschlands Fußballverband), Trainer, Spieler und Fans appelliert, leider nicht.

Katar – Fußball – Kapitalismus

Eine weitere Forderung, die die Initiative in den Fokus stellt, ist eine die viele Fußballfans seit Jahren aufstellen: Schluss mit der Kommerzialisierung des Fußballs! Eine berechtigte Forderung.

Fußball erlangte seine große Popularität im England des 18. Jahrhunderts als Spiel der Arbeiter:innenklasse. Arbeiter:innen spielten in ihrer freien Zeit kollektiv, ohne Zeitbegrenzung, ohne Regeln und vor allem ohne Interesse in irgendeiner Art Kapital aus dem Sport zu schlagen. In den Arbeiter:innenmetropolen Liverpool, Manchester und London gründeten Proletarier:innen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts dann die ersten Fußballclubs, die Vereinsfarben dieser Clubs sind bis heute rot. 1863 gründete sich dann der erste Fußballverband und damit nahm die Vereinnahmung des Sports durch die Kapitalisten ihren Lauf. Mal wurde der Fußball von den Faschisten genutzt, um die „Vormacht“ ihres Landes zu demonstrieren, dann, immer häufiger, um eine Unterhaltungsindustrie zu schaffen und Geld zu verdienen.

Die WM in Katar ist der (vorläufige) Gipfel einer Entwicklung des Fußballs als Industrie. Seit Jahren bauen Fußballvereine riesige neue Stadien, verkaufen Fernsehrechte, schließen Sponsorendeals ab und kaufen Spieler für mehrere hundert Millionen Euro ein. Die WM 2022 ist außerdem keine Ausnahme: Schon 2014 wurden Bewohner:innen aus den Favelas in Brasilien vertrieben, gigantische Stadien gebaut, die kurze Zeit später nicht mehr genutzt wurden, während die Bevölkerung in Armut lebte. 

Die Entwicklung des Fußballs lässt sich nicht losgelöst von der Entwicklung unseres Wirtschaftssystems betrachten. Der Fußball ist zu einem festen Bestandteil des Kapitalismus geworden. Mit der immer weiter fortschreitenden Kommerzialisierung erschließen die Kapitalisten immer neue Geschäftsbereiche und immer neue Möglichkeiten Profite zu machen, oder, wie im Fall von Katar oder auch RedBull, ihr eigenes Image aufzubessern. Die erfolgreichsten Fußballvereine der Welt sind alle in der Hand von Millionären oder großen Aktienunternehmen, kaum ein Klub ist noch einfach nur ein Klub. Für Fans, für viele Hobbyfußballer:innen ist Fußball weiterhin eine Unterhaltung und ein Zeitvertreib, für die Kapitalisten ist er eine Industrie wie jede andere, ein weiteres Geschäftsfeld, das es abzuarbeiten gilt.

Um den Fußball wieder zurück zu seinen Wurzeln zu bringen, müssen die Wurzeln des Systems, das ihn steuert, zerschlagen werden. Kein Fußball den Kapitalisten!