Am 1. November feiern wir seit mittlerweile acht Jahren den Welt-Kobanê-Tag. Er steht für den Kampf der Bevölkerung Rojavas und der Revolutionär:innen gegen den Terror des sogenannten „Islamischen Staates“ (oder auch „Daesh“ nach der arabischen Abkürzung). Die Befreiung von Kobanê wird oft als Anfang vom Ende des IS bezeichnet und ist auch heute noch ein Symbol der Hoffnung und Widerstandsfähigkeit der Völker Westkurdistans sowie für alle Unterdrückten weltweit.
Vor 2015 kannte kaum jemand die Stadt im Westen von Kurdistan, im Norden des syrischen Staatsgebiets. Doch Kobanê wurde im September 2015 von den Terroristen des IS angegriffen und umzingelt. Was folgte war ein monatelang andauernder Kampf, in dem die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) und Volksverteidigungseinheiten (YPG), gemeinsam mit dem International Freedom Battallion (IFB), einem Battallion von freiwilligen Internationalist:innen und viele andere gegen die islamistischen Banden gekämpft haben. Vor allem die Frauen der YPJ spielten eine unverzichtbare Rolle für den Sieg gegen den IS. Haus für Haus, Straße um Straße und Stadtviertel um Stadtviertel wurde die Stadt von der Belagerung des IS befreit. Insgesamt wurden dort 13.000 IS-Kämpfer besiegt. Gekämpft haben nicht nur kurdische Menschen, sondern auch die lokalen arabischen, syriakisch-assyrischen, armenischen und tscherkessischen Menschen und viele weitere Internationalist:innen aus aller Welt.
Für den IS bedeutete diese Niederlage nicht nur einen strategischen Rückschlag, da Kobanê als Versorgungsanker diente, sondern auch einen psychologischen. Sogar bis kurz vor dem Rückzug gingen die Islamisten davon aus, dass sie gewinnen und die Stadt einnehmen würden. Ein Mitglied des Komitees der Versehrten von Kobanê, Ismail Mihemed erinnert sich wie folgt an den Sieg: „Der Widerstand in Kobanê wurde zu einer Quelle der Hoffnung und Inspiration für die unterdrückten und die freiheitlichen Völker der ganzen Welt.“
In Kobanê wurde 134 Tage gekämpft; 134 Tage voller Aufopferung, aber auch Hoffnung. Am 1. November wurde nach diesem heroischen Sieg zum Welt-Kobanê-Tag ausgerufen, um den Widerstand zu feiern, aber auch an seine Märtyrer:innen zu gedenken.
Kobanê ist überall
Das Echo von Kobanê hallte bis nach Europa. Während der Kämpfe in Westkurdistan gingen die Menschen überall auf der Welt auf die Straßen, um ihre Solidarität mit der YPJ und YPG und Rojava zu bekundigen. Der Druck, der durch massenhafte Demonstrationen aufgebaut wurde, veranlasste letztendlich auch die USA mithilfe von Angriffen aus der Luft die revolutionären Kräfte zu unterstützen, was den Verlauf des Kampfes stark beeinflusste. Die Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben, die Frauenrevolution und das Ziel eines friedlichen Zusammenlebens manifestierte sich im Sieg gegen Daesh.
Es schlossen sich während und nach den Kämpfen viele Revolutionär:innen dem Widerstand an und bauten die demokratische Selbstverwaltung in Rojava mit auf. Unter ihnen war auch Paramaz Kızılbaş (Suphi Nejat Ağırnaslı). Der Internationalist besuchte die Schule in Deutschland und studierte in der Türkei, bevor er sich dazu entschied nach Rojava zu gehen und sich der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei Türkei/Kurdistan (MLKP) anzuschließen. Dazu schrieb er in einem Brief an seine Familie: „Ich habe gelernt, dass meine Widersprüche nicht individuell überwunden werden können, denn sie sind gesellschaftlich. Man kann nur versuchen, sich in diesem Sinne zu organisieren und diese auf einer höheren Ebene zu vergesellschaftlichen. Das ist der Punkt, an dem ich der Wahrheit in meinem Leben am nächsten gekommen bin.“ Er kämpfte an vielen Fronten Kobanês und wurde am 05. Oktober 2014 im Kampf gegen den IS-Terror unsterblich.
Nach der Vertreibung der IS-Kämpfer fanden sich viele Menschen zusammen, um die Stadt wiederaufzubauen. Nach dem Motto „Gemeinsam haben wir Kobanê verteidigt, gemeinsam bauen wir es wieder auf!“ organisierten zum Beispiel unsere Genoss:innen der Föderation der sozialistischen Jugendvereine (SGDF) eine Kampagne, um von der angrenzenden Stadt Pirsûs (Suruç) nach Kobanê zu gelangen und dort unter anderem Spielzeuge an Kinder zu verteilen. Sie wollten ihre Solidarität praktisch werden lassen. Doch dazu kam es nicht. 33 von ihnen wurden durch einen Selbstmordattentäter des IS aus dem Leben gerissen. Für die Planung und Durchsetzung der grauenvollen Tat kollaborierten Daesh und der türkische Staat, es gibt Beweise, dass der türkische Geheimdienst an der Tat beteiligt war. Bis heute kämpfen die Familienangehörigen der überlebenden und ihre Genoss:innen um Gerechtigkeit.
Die Gefallenen von Kobanê und Suruç sind unsterblich! In unserem Kampf gegen Faschismus leben sie weiter.
Revolution verteidigen heißt türkischen Faschismus stoppen
Während dem Kampf um Kobanê ist vor allem eines klar geworden: die Verstrickungen des türkischen Staates mit den islamistischen Banden. Ob Waffenlieferungen, Blockaden humanitärer Hilfe, Wissensaustausch oder dem Zulassen von Grenzüberquerungen ausländischer Jihadisten; ob aktiv oder passiv, heute ist die Beteiligung des türkischen faschistischen Staates nicht mehr abzustreiten. Doch auch nach der militärischen Niederlage des IS bedroht das faschistische türkische Regime die Revolution und die damit zusammenhängenden demokratischen Errungenschaften. Erst vor kurzem begann Erdogan in seinen Worten „die erste Phase“ der Operation gegen die Selbstverwaltung. Innerhalb weniger Tage wurden unzählige Menschen, hauptsächlich Zivilist:innen, durch gezielte Bombardierungen und Artilleriebeschuss ermordet. Das Hauptziel waren jedoch für die Infrastruktur bedeutsame Ziele, wie Krankenhäuser, Straßen, Stromversorger, Flughäfen und Ölquellen. Das selbsterklärte Ziel des Besatzungsstaates ist es, den Widerstand der Bevölkerung Rojavas, welcher in Kobanê aufgebaut und in die Welt verbreitet wurde, zu brechen.
Hoch die internationale Solidarität!
Wenn wir heute an die tapferen Kämpfer:innen, an Paramaz Kızılbaş, an die 33 Genoss:innen der SGDF, an den Widerstand aller Gefallenen denken, wenn wir den Sieg über den Terror des IS feiern, lasst uns gleichzeitig solidarisch mit der Rojava-Revolution sein. Solidarisch sein heißt, dass wir dort wo wir sind ebenfalls Kobanês schaffen müssen, also Hoffnung schaffen und den Widerstand organisiert auf die Straßen tragen. Wir müssen das Zusammenarbeiten des deutschen und österreichischen Staates und der EU mit dem türkischen verurteilen! Wir müssen unserem Umfeld von dem heroischen Widerstand Kobanês, von Rojava und den Angriffen des türkischen Staates erzählen, müssen den antifaschistischen Kampf stärken, müssen laut werden auf Demonstrationen, so dass wir bis nach Kobanê zu hören ist!
Biji Berxwedana Kobanê!
Lang lebe der Widerstand von Kobanê!