Viele von uns erinnern sich an die Bilder von Lina E. Vom 06. November 2020: Eine junge Frau, festgehalten von zwei Polizisten, während sie aus dem Hubschrauber laufen. Die Presse und soziale Medien gefüllt von sexistischen Kommentaren zu ihrem Rock – genug davon. Der Vorwurf gegen sie und weitere Antifaschist:innen: Angriffe auf Faschisten und die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ – auch bekannt als Paragraph 129. Somit wird die antifaschistische Gruppe auf die gleiche Stufe mit den Hells Angels, großen Drogenhändlern und Neonazi-Kameradschaften gestellt. Die Absurdität dieser Gleichstellung ist offensichtlich. Seit dem 8. September 2021 sitzen sie und drei weitere Mitangeklagte vor dem Oberlandesgericht in Dresden. Zudem sitzt die Beschuldigte in der Justizvollzugsanstalt Chemnitz, wie Beate Zschäpe – Mitgründerin und Mitglied des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU).
Ihnen wird vorgeworfen, zwischen August 2018 und Sommer 2020 mehrmals Neonazis angegriffen zu haben. Seien es der Inhaber der Nazikneipe Bull´s Eye in Eisenach oder ein NPD-Politiker aus Leipzig. Interessanterweise sollen die angegriffenen Nazis aus Eisenach nach dem ambulanten Aufenthalt erst mal Bier trinken gewesen sein – die Beweislage ist auch fraglich. Im Vordergrund des Prozesses, den es in einem solchen Ausmaß lange nicht mehr gab, ist der Vorwurf nach dem Paragraph 129, wobei Lina E. die führende Rolle in ihrer antifaschistischen Gruppe gespielt haben soll. Die Bundesanwältin Alexandra Geilhorn sieht den Vorwurf des Paragraphen 129 dennoch als gerechtfertigt.
Die Kirsche auf der Torte war der Kronzeuge Johannes D.: Ein alter „Genosse“ in der Gruppe gemeinsam mit Lina E., der wegen patriarchaler, sexueller und psychischer Gewalt geächtet wurde und nun gegen Lina und die weiteren Angeklagten aussagt. Kurz vor seinem überraschenden Auftreten schien es, als würde der Prozess bald sein Ende finden. Im Gegenzug für seine Aussagen erhält er eine Strafmilderung und wurde unter Zeugenschutz gestellt. Nicht nur liegt seine Rolle als gewalttätiger Mann und Verräter auf der Hand, es stellt sich außerdem die Frage, ob seine Zeugenaussagen ein Racheakt waren.
Die mittlerweile 93 Verhandlungstage zeugen von einem außergewöhnlichen Mammut-Prozess: Geführt wie ein Terror-Prozess mit einem enormen Sicherheitswahn und einer Einseitigkeit der Ermittlungen. Es scheint so, als müsse nicht die „Schuld“ der Antifaschist:innen bewiesen werden, sondern ihre Unschuld. Doch die Indizien und Beweismittel sind laut den Anwält:innen der Angeklagten eigentlich unzureichend für eine Verurteilung nach dem Paragraphen 129.
Wir sehen: Es gibt nicht genug Beweise, um acht Jahre Haft für Lina E. und die geforderte Strafe für die weiteren angeklagten Antifaschist:innen (knapp 3 Jahre) rechtlich durchzubringen. Ebenso hoffen die Verteidiger der Angeklagten, dass die Strafe milder ausfallen wird. Für uns gilt: Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Das Urteil wird wahrscheinlich Mitte Mai fallen. Laut ihrem Anwalt sind es ihre Familie, Freund:innen, aber vor allem die Genoss:innen und die Solidarität, die ihr Kraft schenken. Die absurde Art und Weise diesen Prozess zu führen zeigt uns, mit welcher Kraft der bürgerliche Staat versucht, legitime antifaschistische Aktionen auf härteste Weise zu bestrafen, um vor allem weitere Antifaschst:innen zu beängstigen, ebenso militant und klassenbewusst auf den Straßen dem Feind gegenüber zu stehen.
Praktischer Antifaschismus ist legitim und unsere Pflicht!
Dieser Artikel erschien zeitgleich als Co-Post auf dem Blog der Frauenorganisation ZORA.