Ein Netz des Widerstands spannt sich über die Wälder Anatoliens, verbindet die Ägäis mit Hatay und den Bergen Bakûrs, Rotkiefern mit Olivenhainen.
Und das Palastregime Ankaras geht mit aller Härte gegen Jene vor, die sich gegen Rodungen und gestiftete Waldbrände erheben. Von Akbelen bis nach Dikmece, bis nach Cûdî: auch diesen Sommer werden wir an Jenes erinnert, was uns Gezi 2013 bereits lehrte — zwischen kapitalistischer Produktion und unserer Erde besteht ein unumgehbarer Antagonismus. Klimakampf ist Klassenkampf!
Anwohner:innen und Demonstrant:innen zögerten nicht lange, als am 24.Juli erste Bagger im Akbelen-Forst vorrückten. Seit jenem Tag mobilisiert das İkizköy Umwelt Komitee landesweit in die Region Muğla; Hunderte folgten den Aufrufen.
Vor Ort treffen sie auf ungezügelte Repressionen, die die zahlreichen Jandarma (Gendarmerien) gegen die Massen anwenden. Schlagstöcke, Pfefferspray, Wasserwerfer – die Handlanger des Kapitals scheuen keine Mittel, den Protest zu unterdrücken.
Seit zwei Jahren verteidigen Anwohner:innen aus der umliegenden Gegend, vor allem aus der Ortschaft İkizköy, sowie Umweltschützer:innen, den Wald. Die Bedrohung konkretisierte sich erstmals vor neun Jahren, als die lokalen Wärmekraftwerke Yeniköy, Kemerköy und Yatağan privatisiert wurden. Die in den 1980er und 1990er Jahren eingeweihten Kraftwerke liefen eigentlich auf das Ende ihrer Betriebszeit zu – um ihre Schließung, und die damit einhergehenden finanziellen Verluste zu verhindern, wurden die Werke an die Regime-nahen Unternehmen LIMAK und İÇTAŞ verkauft. Diese erhielten unmittelbar nach dem Kauf die Genehmigung, den Akbelen-Wald abzuholzen, um somit das Kohleabbaugebiet auszuweiten.
Doch die Bewohner:innen der Gegend widersetzten sich. Sie gingen zunächst juristisch gegen die Baufirmen vor, und konnten vor Gericht scheinbar vielversprechende Urteile erkämpfen. So wurde der Vollzug der Genehmigung zur Rodung ausgesetzt.
Die Unternehmen setzten sich jedoch über diesen Beschluss hinweg – ungehindert von der Justiz und dem Staat. 2021 begannen sie mit der Abholzung Akbelens. Desillusioniert von der Immunität des Kapitals vor der bürgerlichen Verfassung, organisierten die Bewohner:innen und Aktivist:innen ihren Widerstand nun in Form einer Mahnwache, die seit zwei Jahren kontinuierlich im Wald fortgeführt wird.
Konsequenzen und Kosten, die auf der Arbeiter:innenklasse lasten
In Akbelen geht es allerdings um mehr, als die dortigen Rotkiefern. Der Kampf, der dort geführt wird, ist genauso ein sozialer Kampf, wie er ein ökologischer ist.
Seit Jahrzehnten spüren die Einwohner:innen des Ortes die Konsequenzen der Wärmekraftwerke. Die Region Muğla, in der Akbelen sich befindet, ist einer der fünfzehn größten Schwefeldioxid-Hotspots, wie eine Studie aus 2019 bewies.
Dies spiegelt sich auch in Gesundheits- und Sterblichkeitsstatistiken in der Provinz wider.
Mehr als 60.000 frühzeitige Todesfälle, mehr als 40.000 Frühgeburten, 40.000 Fälle von chronischer Bronchitis bei Erwachsenen und mehr als 400.000 bei Kindern. Diese Zahlen, die sich über den Zeitraum von 1982 bis 2020 erstrecken, sind das Resultat der Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung durch die drei Kohle-betriebenen Wärmekraftwerke.
Daraus resultierten zudem Gesundheitskosten von rund 1,48 Billionen Türkischer Lira, die vor allem als schwere Last auf dem Rücken des Proletariats wiegen.
Es sind somit nicht nur Arbeiter:innen, die zugunsten des Kohleabbaus vertrieben werden sollen; es sind auch Arbeiter:innen, die infolge der Kohleverstromung schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden ausgesetzt sind. Viele derjenigen die in diesem Moment Akbelen verteidigen, verloren Angehörige aufgrund von Krebs oder anderen Folge-Erkrankungen.
Hinzukommt, dass die Wärmekraftwerke, in der Art und Weise wie sie momentan betrieben werden, weder notwendig noch förderlich sind. Ein Bericht der Kammer der Elektro- und Maschinenbauingenieure von 2022 legt offen, dass Produktion von Strom in der Ägais-Region momentan höher ist als der Bedarf. Zudem enthüllt das Papier: würden Kemerköy, Yeniköy und Yatagan eingestellt, würde dies keine negative Auswirkung auf die Stromversorgung in Muğla oder auf das landesweite Stromnetz haben. Kurzum: die Kraftwerke sind nicht notwendig, sind veraltet, schaden der Umwelt und der Gesundheit den Arbeiter:innen.
Wo wart ihr im Februar? — Der Staat zögert bei Katastrophen, jedoch nicht bei Repressionen
Doch weil die türkische Regierung die Interessen der Bourgeoisie vertritt und diese weiterhin von den Werken und dem Kohleabbau profitiert, scheut die Exekutive keine Mittel, um gegen die Bewegung in Akbelen vorzugehen. Zahlreiche Personen, unter ihnen Politiker:innen fortschrittlicher Parteien, wie der YeşilSol Parti und der HDP, sowie führende Mitglieder des İkizköy Umwelt Kommitees wurden in Gewahrsam genommen und erhielten Einreiseverbote in die Region.
Darüber hinaus wird die Presse vor Ort aktiv schikaniert, einerseits durch körperliche Angriffe, andererseits durch Störfahrzeuge, die die Kommunikation nach außen erheblich erschweren.
Der Staat versucht auf diesem Wege die Moral der Bewegung zu brechen und die Massen, Teilnehmer:innen, sowie Sympathisant:innen einzuschüchtern.
Dasselbe geschieht momentan auch in dem Bezirk Dikmece, Antakya, wo Olivenhaine zugunsten von Bauprojekten enthoben werden sollen. Nach den fatalen Erdbeben, die den Ort in der Region Hatay im Februar dieses Jahres erschütterten, ist die ohnehin schon unter prekären Umständen lebende Bevölkerung in ihrer Lebensgrundlage bedroht. Auch hier gehen die Jandarma mit starken Repressionen gegen die Protestierenden vor. Diese skandieren: „Wo war dieser Staat, wo waren diese Einheiten vor sechs Monaten, als Hunderttausende unter Trümmern begruben wurden?“ Doch Erdogan schickt nun mal keine Hilfe, er schickt bewaffnete Banden.
Cûdî steht in Flammen – Waldbrände als Kriegswaffe
Die bürgerliche Ordnung und die faschistische Palastdiktatur nutzen die systematische Schlachtung der Umwelt nicht nur als ein Mittel zum Zweck der Ressourcenausbeutung und Kapitalakkumulation; sie nutzen diese ebenso als Waffe gegen das kurdische Volk, sowie dessen revolutionären und anti-kolonialen Widerstand.
Seit Jahrzehnten nutzt das türkische Militär Brandrodung als strategisches Mittel, um die Umsiedlung kurdischer Dörfer zu erzwingen und Guerilla–Kämpfer:innen aus den Bergen zu verdrängen. Das jüngste Beispiel dieser Art sind die Waldbrände, die den Berg Cûdî in Bakûr drei Tage lang verschlangen, zur gleichen Zeit als die Proteste in Akbelen aufflammten.
Anwohner:innen der naheliegenden Gemeinden sollen unmittelbar nach Ausbruch des Brandes die Feuerwehr, das Gouverneursamt und diverse weitere Notfallstellen informiert haben. Vergebens, denn der Staat reagierte natürlich nicht.
Der Berg gilt als militärische Sperrzone; der Zutritt ist verboten, wodurch das Löschen der Feuer durch Freiwillige, sowie die Erörterung der Brandursache verhindert wurden. Eine Delegation verschiedener Ökologie-Verbände Nordkurdistans plante genau dies, wurde jedoch von der Polizei daran gehindert.
Doch all diese Vertuschungsversuche der türkischen Behörden betonen umso deutlicher, bei wem die Verantwortung liegt. Seit dem 1980er Jahren setzt der türkische Staat kurdische Gebiete in Flammen, macht große Landabschnitte dadurch unbewohnbar und vertreibt die Bevölkerung. Auch Staudämme werden zu diesem Zweck verwendet. Vor einigen Jahren erregte der Ilısu-Staudamm internationales Aufsehen, als hunderte kurdische Ortschaften den Fluten des Projekts der Regierungskoalition AKP-MHP weichen mussten.
Auch in Rojava nutzt der türkische Aggressor Wasser als Mittel des Angriffes. Die Türkei übt Kontrolle über diverse Staudämme und Wasserwerke und manipuliert dabei die Wasserversorgung der autonomen Selbstverwaltung. Die Austrocknung des ohnehin schon von Klima-bedingten Dürren betroffenen Gebietes wird somit beschleunigt. Dies hat fatale Folgen – einerseits für die Landwirtschaft, andererseits auch für die Zufuhr von Wasser in die Städte. Dieses Jahr steht vor allem die Stadt Heseke vor einem Desaster, denn das Alouk-Wasserwerk, aus welchem es die essenzielle Ressource bezieht, steht seit Juli still. Alouk ist seit mehreren Jahren in den Händen der Türkei.
Ob Brände, Überflutung oder Austrocknung, das türkische Besatzungsregime verfolgt das Ziel, die Integrität Nord- und Westkurdistans mittels fabrizierter Naturkatastrophen aufzubrechen, Land und Bevölkerung gewaltsam auseinander zu reißen.
Diese Vorgänge müssen als das benannt werden, was sie sind: ein Teil kolonialer Kriegsführung!
Und obwohl der Slogan „Von Akbelen bis nach Cûdî!“ inzwischen auch in İkizköy ertönt, müssen wir ebenso anerkennen, dass der Aufschrei, der Protest und die Solidaritätsbekundungen, die Akbelen zuteile kommen, in Bezug auf Cûdî ausbleiben. Dabei sind die Wälder, Berge und Täler Kurdistans, sowie diejenigen, die dort leben, seit Jahrzehnten Zielscheiben ökologischer Zerstörung.
Somit muss hier betont werden: auch die türkische Umweltbewegung muss jegliche chauvinistische Tendenzen innerhalb ihrer Reihen beseitigen, um einen tatsächlich fortschrittlichen Charakter zu entwickeln.
Gerade jetzt, wo gleich an drei Fronten gegen gierige Kapitalisten und die faschistische Regierung protestiert wird, wo Wälder und Land verteidigt werden, müssen wir das Potential erkennen, das dieser Aufruhe inne liegt.
Wenn wir an Gezi zurückdenken, erinnern wir uns daran, wie ein Protest gegen die Bebauung einer innenstädtischen Grünfläche in kurzer Zeit zu einer Massenbewegung, die sich gegen die gesamte Institution des türkischen Staates erhob, entflammte. Wir beobachteten wie revolutionäre Organisationen, wie allen voran Kommunist:innen es schafften, eine führende Rolle in den Protesten einzunehmen.
Sozialismus oder Barbarei!
Auch Ankara ist sich der Schlagkraft bewusst, die aus Akbelen, Dikmece und Cûdî münden könnte, solange die drei Bastionen es schaffen, sich im Kampf mit der Klasse, den Frauen, der Jugend und unterdrückten Völkern zu verbünden.
Dabei liegt es an Revolutionär:innen, eine führende Rolle einzunehmen, und die reformistischen Ansätze, die gerade in Akbelen deutlich hervortreten, einen revolutionären Kampf entgegenzusetzen. Am 9. August besuchte das İkizköy Umwelt Komitee das türkische Parlament, um eine „Lösung“ für den Forst zu verhandeln.
Und auch wenn die Verzweiflung und die Frustration, die die Bewohner:innen des Dorfes ins Regierungsviertel zog, nachvollziehbar ist, muss ganz klar gesagt werden: die Probleme, die der Zerstörung Akbelens zugrunde liegen, werden nicht im Haus der Bourgeoisie gelöst werden. Ganz im Gegenteil, dieses Parlament schützt das Kapital, es organisiert eigenhändig die Politik, die den Status Quo der Ausbeutung und Unterdrückung aufrechterhält.
Es ist eine Notwendigkeit, dass der ökologische Kampf antifaschistisch, antikolonialistisch und revolutionär ist. Es zeugt von einer extremen Naivität, in der Türkei, sowie auch hierzulande, an den vermeintlichen Humanismus und die Vernunft bürgerlicher Politiker:innen zu appellieren, um eine Reform nach der anderen zu betteln, die uns gerade noch vor dem Kollaps bewahren soll.
Kompromisse werden unsere Erde nicht retten.
Für die sozialistische Revolution, bis zum Kommunismus!