Wie alle 4 Jahre sind am 04. Februar in Beijing (Peking) die Olympischen Winterspiele gestartet. Anders als in vielen Jahren zuvor kochen dieses Jahr jedoch Diskussionen darüber hoch, wie man mit China als Austragungsland der Spiele umgehen soll. Bereits frühzeitig sind die USA vorangeschritten und haben angekündigt, die Spiele politisch zu boykottieren, das heißt keine Staatsbediensteten offiziell zu den Spielen zu entsenden. Die Ankündigung sorgte für viel Aufregung von verschiedenen Seiten, doch wie ist der Boykott einzuordnen?
Einhaltung von Menschenrechten nur bei Schutz des eigenen Kapitals
Der Ankündigung der USA, die Spiele zu boykottieren, folgten viele weitere, vor allem westliche Staaten wie Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland, Japan, Belgien und Litauen. Begründet wird der Boykott mit der Menschenrechtslage in China, US-Präsident Biden verwies dabei auf die Lage der Uiguren und die Situation in Hongkong, Tibet und Taiwan. Die EU konnte sich zu keiner einheitlichen Position durchringen, doch auch hier bleiben viele Staatsvertreter:innen den Spielen fern. Auch die deutsche Außenministerin Baerbock, die Innenministerin Faeser, die für den Sport zuständig ist, und Kanzler Olaf Scholz kündigten an, für die Olympischen Spiele nicht nach China zu reisen, begründeten das jedoch mit privaten Gründen. Das Fernbleiben von den Spielen sei keine politische Entscheidung, verkündeten sie erst letzte Woche. Bei dem sich in den letzten Wochen verschärfenden Auftreten gegenüber China kann man bezweifeln, ob bei der Entscheidung wirklich nur private Gründe ausschlaggebend sind.
Wie dem auch sei: Seit Wochen läuft sowohl politisch als auch in den bürgerlichen Medien eine großangelegte Kampagne gegen China als Ausrichter der Winterspiele. Und natürlich sind Teile der Kritik berechtigt, auch in China gibt es Menschenrechtsverletzungen, dass aber ausgerechnet diese Spiele zum ersten Mal seit fast 40 Jahren (damals boykottierten sich die USA und weitere westliche Staaten und die Sowjetunion bei zwei aufeinanderfolgenden Olympischen Spielen wegen der damaligen politischen Situation gegenseitig) boykottiert werden, ist angesichts des sonstigen Verhaltens der Staaten nichts weiter als heuchlerisch.
Die Führer:innen derjenigen Staaten, die Olympia in Peking dieses Jahr boykottieren, besuchen viele andere sportliche Großereignisse in Staaten, in denen Minderheiten unterdrückt werden und die sich auch sonst nicht für die Interessen der eigenen Bevölkerung interessieren. Wendet man den Blick ab von der Symbolpolitik sieht man schnell, wie es um das Interesse der Länder um Einhaltung der Menschenrechte steht. Sie selbst führen imperialistische Kriege in den verschiedensten Ländern der Welt, machen Geschäfte, sitzen in Militärbündnissen mit Diktatoren und Faschisten und schauen regelmäßig weg, wenn anderswo auf der Welt Menschen ihrer Rechte beraubt werden. Um Menschenrechte kann es diesen Politiker:innen nicht gehen.
Vielmehr geht es bei dem Boykott darum, Chinas Image und seinen Machteinfluss zu begrenzen. Schon seit Jahren wächst und wächst Chinas Wirtschaft, während die USA auf Kosten der Arbeiter:innen im eigenen Land, die immer ärmer werden, versucht, dem Wettbewerb standzuhalten. Die existenzielle Krise des Kapitalismus, die sich in allen imperialistischen Zentren zeigt, lässt auch die USA nicht kalt. Durch Corona hat sich die ohnehin schon kritische Situation nochmals verschärft. Und so verwundert es nicht, dass sowohl die USA als zunehmend auch andere NATO-Staaten, sowohl rhetorisch als auch militärisch gegen China aufrüsten, um das Land zu schwächen.
Boykottgründe gibt es genug
Und auch abseits von der Situation der Menschenrechte gibt es ausreichend Grund diese Spiele – wie auch andere sportliche Großevents – zu kritisieren, davon ist bisher jedoch wenig zu hören.
Sportliche Großevents wie Fußball-WMs, EMs und andere Kontinentalmeisterschaften, Olympische Spiele und andere Ereignisse sind vor allem eins: Große Kampagnen zur Imageverbesserung und zum Ankurbeln der Wirtschaft. Mit Sportler:innen und Fans aus aller Welt soll das Ausrichterland von seiner besten Seite gezeigt werden. Dazu werden vor den Spielen meist Milliarden Euros in neue Stadien, Zugstrecken, Flughäfen und Hotels gesteckt, oft gegen den Widerstand der Bevölkerung im Land. Die Fußball WMs in Südafrika 2014 und Brasilien 2018 waren hierfür Beispiele: In beiden Ländern herrscht zum Teil extreme Armut, Millionen Menschen in den Metropolen leben in Townships und Favelas. In Vorbereitung der Weltmeisterschaften wurden hier Milliarden in den Ausbau der Sportstätten gesteckt, um den Fans in ihrem abgeschotteten Kosmos für zwei Wochen eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. Die neu errichteten Straßen und Bahnstationen werden heute kaum genutzt, die Hotels stehen leer und in die, zum Teil mitten in den Amazonasregenwald platzierten, Stadien kommen statt 50.000 wie bei den 5 WM-Spielen, die dort stattfanden, nur noch 500 Leute. Bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 wurden viele der neu gebauten Stadien nur wenige Monate nach Ende der Spiele wieder abgerissen.
Die Bevölkerung, die die Milliarden, die in diese Events gesteckt wurden, besser hätte gebrauchen können ist weiterhin arm. Am Ende profitieren nur die Kapitalisten als Sponsoren, in der Tourismusindustrie oder im Bausektor.
Und nicht nur sind diese sportlichen Großereignisse eine soziale Katastrophe, auch ökologisch gibt es dieses Jahr wieder viele Gründe, warum man die Olympischen Winterspiele boykottieren könnte: Auch wenn China ankündigte die „grünsten Olympischen Spiele aller Zeiten“ auszurichten, sieht die Lage vor Ort anders aus. Die Region um Peking, in der die Wettkampfstätten liegen, ist eine der trockensten Regionen Chinas, Schneefall, der für Wintersport notwendig ist, gibt es hier nicht. Die Spiele finden zu 100% auf Kunstschnee statt. Die fast 500 Millionen Liter Wasser, die dafür benötigt werden, müssen aus weit entfernten anderen Regionen an die Wettkampforte gebracht werden. Die Schneekanonen laufen bereits seit Wochen. Das Gebiet, in dem die Spiele stattfinden, ist außerdem ein Naturschutzgebiet. Für die Errichtung der Pisten, Bahnen und Straßen wurden 25% der geschützten Fläche umgenutzt. Und auch hier ist jetzt schon klar, dass die meisten Orte nach Ende der Spiele nicht mehr genutzt werden.
Und wäre all das nicht schon genug, befinden wir uns immer noch mitten in der Coronapandemie. Auch China hat mit der neuen Omikron Variante zu kämpfen und befürchtet neue Ausbrüche, durch die Athlet:innen, die aus der ganzen Welt anreisen. Zwar gibt es strenge Protokolle, die Sportler:innen befinden sich abgeschottet vom Rest der Bevölkerung in ihrer eigenen Blase, doch auch hier gab es bereits vor Beginn der Spiele fast 60 Infektionsfälle.
Gründe, sportliche Großevents wie die Winterspiele zu boykottieren, gibt es also genug. Solange das Geld in den Kassen klingelt, scheinen diese Gründe für die Regierungen und Kapitalisten jedoch nur nachrangig. Wie ernst diejenigen, die sich heute als Vorreiter der Menschlichkeit präsentieren, es mit den Menschenrechten nehmen, werden sie diesen Winter zeigen können. Dann soll in Katar, mit denen sowohl die USA als auch andere imperialistische Staaten Beziehungen unterhalten, die Fußball Weltmeisterschaft stattfinden, mitten in der Wüste in klimatisierten Stadien. Im Land selbst haben Frauen und LGBTI+ kaum Rechte, auf den Baustellen arbeiten versklavte Arbeiter:innen unter katastrophalen Arbeitsbedingungen. Rund 15.000 Arbeiter:innen sind bei den Bauarbeiten bereits gestorben.