In den frühen Morgenstunden des neuen Jahres wird der Körper der 23- Jährigen Anjali Singh nackt und mit gebrochenen Gliedmaßen in Delhi’s Kanjhawala Bezirk aufgefunden. Schon am nächsten Tag versammeln sich hunderte von Menschen vor der örtlichen Polizeistation und protestieren, denn Anjali Singh ist kein Einzelfall. Über 10 Kilometer und mehr als eine Stunde lang wurde ihr Körper am Boden eines Autos durch Neu-Dehli geschleift. Die Insassen des Autos waren 5 Männer. Sie waren angetrunken und einer von ihnen ein lokaler Politiker der regierenden hindu-nationalistischen BJP.
Die Straßen Dehlis sind für alle Frauen angsteinflößend, aber besonders für diejenigen die gezwungen sind Nachts zu arbeiten und weite Strecken hinter sich zurück legen müssen. Erst 2018 wurde Indien zum gefährlichster Ort für Frauen erklärt.
Wie das Leben vieler Frauen in Dehli war auch Anjalis Leben geprägt von Durchhaltevermögen und harter Arbeit. Ihr erstes Geschenk kaufte sie für sich selber, einen lilanen Scooter, in ihrer Lieblingsfarbe, um leichter von A nach B zu kommen. Sie arbeitet immer wieder auf Events und in allen mögliche Bereichen, teilweise Tag und Nacht. Sie war die alleinige Versorgerin ihrer sieben Köpfigen Familie. Ihr Vater war bereits vor fast 10 Jahren verstorben. Anjali brach in der zehnten Klasse die Schule ab um ihre Mutter, Großmutter und Geschwister zu versorgen. Sie postete in ihrer Freizeit Videos auf Instagram, sie sang und tanzte zu Songs auf Punjabi.
Anjali befand sich an jenem Abend auf dem Nachhauseweg. Sie war aus gewesen und gegen 9 uhr Abends begann ihre Mutter sich sorgen zu machen. Anjali war nicht zu erreichen. Ihr Telefon war ausgeschaltet. Sie soll zu dieser Zeit mit einigen Freunden in einem Hotel gewesen sein. Der Theorie der Polizei nach wurde Anjali´s Roller angefahren, wobei sich ihr Bein im Reifen verklemmte und so mitgeschleift wurden. Also ein Unfall.
Schon kurz nachdem der Fall bekannt wurde, begann in der Berichterstattung eine Boshaftigkeit mit zu schwingen die nur einer Frau, die das Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, wiederfahren kann. Denn die Vorverurteilung von Opfern, besonders wenn es Frauen sind, greift seit jeher und in jedem Land um sich. Ein Zitat des Hotelbesitzers wurde geteilt, wonach sie betrunken war und sich mit einer ihrer Freundinnen gestritten haben soll, woraufhin er sie um halb 2 uhr Nachts rausgeschmissen habe. Immer wilderer Geschichten tauchen dazu in den Medien auf, wie unmöglich sich Anjali auf dem Roller verhalten haben soll, wie laut sie gestritten habe etc. Doch die Nationale Frauen Kommission hat Fragen. Warum wurde nicht die Polizei gerufen wenn sie sich so sehr gestritten haben, warum wurden sie einfach auf die Straße gesetzt?
Zu viele Widersprüche und Fragen tun sich durch die Berichterstattung auf. Die Freundin mit der der Streit geführt wurde sagt z.B. aus, dass sie sich darüber gestritten hätten wer den Roller fährt, aber was hat dann im vorhinein, zum Rauswurf geführt. Sie soll sich mit auf dem Roller befunden haben, als er angeblich angefahren wurde, ist jedoch fast unverletzt geblieben. Nach dem Unfall sei sie von der Szene geflohen, obwohl sie aussagt, gesehen zu haben das Anjali, laut der Theorie der Polizei zu diesem Zeitpunkt noch lebend, sich unter dem Auto befunden hat.
Fast eine Stunde für das Auto daraufhin durch Dehli. Ein Augenzeuge erkannte das sich eine junge Frau unter dem Auto befand und rief 18- 20 mal die Polizei an, ohne das es eine Reaktion gab. Er beschreibt das das Auto extrem langsam fuhr, gerade einmal 20 km/h. Wie können da die fünf Insassen nichts bemerkt haben? Sind sie nur zufällig so langsam gefahren?
Zu viele Fragen bleiben offen, auch bei der Familie. „Es war keinenfalls ein Unfall. Was soll das für ein Unfall sein, bei dem kein Stück Stoff auf dem Körper meiner Tochter übrig bleibt. Wir wollen eine vollständige Ermittlung.“ sagte Rekha Devi, die Mutter von Anjali.
Dadurch, dass einer der Mitfahrer bei der Regierungspartei involviert ist, wird von einem Cover-up durch die Polizei ausgegangen. Es wäre auch nicht das erstmal das die Polizei bei der Verdeckung eines Femizids oder Vergewaltigung mit hilft, aber selbst wenn nicht, selbst wenn es „nur“ ein Unfall war, ändert es nichts an der grausamen Unmenschlichkeit, mit der die fünf Männer Anjali begegnet sind. Zwei Frauen anzufahren und nicht einmal stehen zu bleiben, trotz Schreien und offensichtlichem Schaden am Auto. All das zeigt die Kälte und das Kalkül in den Herzen der Täter.
Wir wissen durch die indische Frauenbewegung das auf die Justiz kein Verlass ist, ja sie sogar selber Täter sind. Auch wenn die Autopsie, keine Spuren einer Vergewaltigung festellen konnte und der Körper von Anjali, bereits unter dem Schutz von Sicherheitsleuten eingeäschert und vegraben wurde. Stellen wir uns an die Seite der Familie und der Protestierenden. Wir fordern Gerechtigkeit für Anjali Singh und die tausenden weiteren Opfer von Femiziden!