Zum Inhalt springen

Rivalen um Macht, geeint gegen die Revolution — zu den Gefechten im Sudan

Am Morgen des 15. Aprils halten Schüsse durch Khartum, der Hauptstadt des Sudans.
Damit bestätigte sich, was viele bereits seit Wochen befürchteten: die rivalisierenden Fraktionen der Militär-Junta bekriegen sich. Nach monatelangen Spannungen zwischen der sudanesischen Armee, den Sudanese Armed Forces (SAF) und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF), wütet nun seit Tagen ein bewaffneter Konflikt. In dessen Kreuzfeuer: Zivilist:innen. Militärgeneral und jetziges Staatsoberhaupt Abdulfattah Al-Burhan und sein Vize, RSF-Anführer Mohammed Hamdan Daglo (bekannt als „Hemedti“), buhlen um Macht und Profit, in ihrem Nacken die Interessen imperialistischer Staaten und auf den Straßen das Blut der sudanesischen Arbeiter:innenklasse. Bislang wurden laut der World Health Organization (WHO) mehr als 400 Zivilisten getötet, rund 20.000 Personen befinden sich auf der Flucht. Die Menschen fürchten um ihre Existenz, nicht nur aufgrund der gewaltvollen Gefechte selbst, sondern auch aufgrund der Folgen, die diesen entspringen.
Lebensmittel gehen zu Neige, auch Trinkwasser ist knapp — dabei sind seit Beginn des Konflikts nur knapp zwei Wochen vergangen. Schon vor dem Krieg waren die Mittel begrenzt: die Wirtschaft ist immer noch in Form einer sogenannten Rentenökonomie organisiert, ein Relikt aus Kolonialzeiten. Hinzu kommen Sanktionen, die die Vereinigten Staaten in Reaktion auf den Militärputsch 2021 auferlegten, unter denen jedoch nicht die Generäle, sondern die Bevölkerung leidet. Rund 55% lebten bereits 2021 laut einer Studie der African Development Group in Armut. Diese Zustände spitzen sich nun aufgrund des bewaffneten Konflikts Tag für Tag weiter zu. Auch die medizinische Versorgung ist betroffen: die Sudanese Doctors‘ Trade Union berichtete, dass rund 59 von 77 Krankenhäusern in Khartum momentan nicht funktionsfähig seien.

Einerseits handelt es sich um einen Krieg der Generäle, einen Krieg um die Machtposition innerhalb der herrschenden Klasse. Jedoch hat der Konflikt auch eine andere Seite: er ist zeitgleich ein gemeinsamer Krieg Al-Burhans und Hemedtis gegen die Massen innerhalb der Bevölkerung, die als Teil der demokratisch-revolutionären Bewegung seit Jahren gegen die Militärdiktatur aufbegehren. Diese Bewegung zählt mehrere Millionen Menschen.
Bereits 2019 belebten ihre Proteste, ihre Streiks und Aufstände die Straßen des gesamten Landes. Damals noch gegen den langjährigen islamistischen Diktator Omar Al-Bashir. Für einen Augenblick schien die Revolution geglückt— Al-Bashir wurde seines Amtes enthoben. Doch der Umbruch wurde vereinnahmt vom Militär und rechts-orientierten zivilen Parteien und Organisationen, in Form des Bündnisses Forces of Freedom and Change (FFC). Die militärische Faktion (bestehend aus SAF u. RSF) und das zivile Bündnis unterzeichneten ein Abkommen, welches eine Machtübergabe vorsah. Zwei Jahre lang sollten die Generäle den Vorstand des sogenannten Souveränen Rates stellen, danach sollten sie durch den FFC ersetzt werden.

Als es im Oktober 2021 soweit war, kooperierten die SAF und die RSF in einem Putsch gegen den damaligen Premierminister Abdalla Hamdok und sein Kabinett. Nach einem Monat Haft wurde er entlassen und erhielt in Absprache mit Al-Burhandie Möglichkeit, sein früheres Amt wieder zu beziehen. Nach nicht einmal zwei Monaten trat er jedoch wieder zurück — das Volk hatte sich mal wieder im Protest vereint, diesmal gegen Hamdoks neoliberale Politik, die die ohnehin schon schlechten Lebensbedingungen im Land noch weiter verschärft hatten.
Und auch der Protest gegen die Militärdiktatur wich nie. Angeleitet durch die Sudanese Professionals Association (SPA), ein Dachverband verschiedener Gewerkschaften, die sogenannten Widerstandskomitees, die landesweit auf lokaler Ebene zu zivilem Ungehorsam mobilisieren und organisieren und nicht zuletzt auch durch die Sudanese Communist Party (SCP). Ende letzten Jahres, im Dezember 2022, wurde schließlich ein Prozess eingeleitet, durch den der Übergang zu einer Zivilregierung wieder aufgenommen werden sollte. Doch bereits ab Februar, als die Verhandlungen um das Abkommen so gut wie abgeschlossen waren, wurden Spannungen immer offenkundiger. Immer wieder wurde der Termin zur Unterzeichnung des Dokuments verschoben, mit der Begründung die SAF und RSF könnten sich über einen kritischen Punkt — nämlich die eventuelle Integrierung der letzteren in die Armee — nicht einigen. Die Vertreter des Widerstands zeigten sich skeptisch, vermuteten hinter dem vermeintlichen Streit
eine gemeinsame Taktik, um die Installation einer Zivilregierung weiter hinauszuzögern.

Das gescheiterte Abkommen wurde von großen Teilen der Massenbewegung von Beginn an abgelehnt. Sie kritisieren dabei vor allem den Opportunismus des bürgerlichen demokratischen Bündnisses FFC, welches mit dem Militärregime verhandelt und sich blauäugig ein zweites Mal zu einer gemeinsamen Machtteilung bereit erklärt.
Denn die Massen des Sudans und seine Revolutionär:innen kennen die Geschichte des Landes, haben alleine in den letzten Jahren die rücksichtslose Brutalität die sowohl von Al-Burhan und Hemedti ausgeht erlebt — sei es in Form des Massakers des 3. Juni 2019, als die rivalisierenden Fraktionen kooperierten, um Hunderte Demonstranten zu ermorden, in Form des gemeinsam orchestrierten Putsches 2021 oder in Form des Genozids während des jahrzehntelangen Krieges in Darfur. Muzan Alneel, Aktivistin und Autorin, schrieb bereits im Dezember vorletzten Jahres: „Kein Abkommen, das die Macht des Militärs bewahrt, kann lange bestehen. Dem sind sich sudanesische Demonstranten schon lange bewusst. Es würden alle davon profitieren, verstünde die internationale Gemeinschaft dies auch“. Konkret bezieht sich Alneel damit auf die Tatsache, dass sowohl 2019, als auch 2021, verschiedene Staaten das Abkommen zur Gründung der fusionierten Regierung absegneten, beziehungsweise sich für dessen Wiederaufnahme aussprachen. Öffentlich hatten sich bürgerliche Politiker:innen weltweit solidarisch mit der revolutionären Bewegung im Sudan gezeigt – nur um deren Forderungen den Rücken zu kehren. Doch an dieser Stelle nur von einer Naivität zu reden, kommt zu kurz.

Diverse Staaten, mitunter imperialistische Großmächte, verfolgen ihre eigenen Interessen auf sudanesischem Boden. Das nordostafrikanische Land verfügt über eine Küste am Roten Meer, an der Schnittstelle zwischen Afrika und dem Mittleren Osten. Ergänzt wird diese geostrategisch wertvolle Lage durch das Vorkommen begehrter Ressourcen wie Gold, Erdöl und Erdgas. Russland befand sich bis zuletzt in Verhandlungen mit der sudanesischen Regierung, um eine Marinebasis in Port Sudan. Vor allem Hemdeti erwies sich dem Kreml in dieser Hinsicht als zuvorkommender Verhandlungspartner. Zudem unterhält die RSF Beziehungen zu den russischen Wagner-Söldnertrupps, die im Sudan Mineralien abbauen. Über diese Verbindung wird die RSF auch von dem südlibyschen Milizen-Oberhaupt Khalifa Haftar unterstützt, ebenfalls ein Partner der Wagner-Gruppen. Dieser soll die RSF kurz vor Beginn der Gefechte mit Waffen ausgestattet haben. Ägypten, neben Libyen ein weiterer wichtiger Nachbar Sudans, stellt sich wiederrum hinter die SAF. Al-Burhan und der ägyptische Präsident Abdel Fattah El-Sisi sind enge Verbündete; Letzterer war einst ebenfalls ein hochrangiger General. Das sudanesische und das ägyptische Militär arbeiten eng zusammen, auch mit Hinblick auf die angespannte Beziehung beider Länder zu Äthiopien. Die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen wiederum ebenfalls Hemedti, der den Emiraten Zugang zu den Goldminen des Landes gewährt. Sowohl die VAE, als auch Ägypten investieren in die Militär-Junta. Obwohl sich die Vereinigten Staaten öffentlich gegen den Putsch 2021 positionierten und Außenminister Anthony Blinken auch die Gefechte verurteilt hat, ist ihre tatsächliche Haltung weniger transparent. Laut Fathi El-Fadl, Sprecher der SCP, seien die USA an einer zivil-angeleiteten Administration interessiert, die tatsächliche Autorität solle jedoch weiter vom Militär ausgehen. Ermöglicht wurde der heutige Konflikt und die zahlreichen Opfer, die dieser bereits forderte, also auch von externen Kräften, die von dem jetzigem Regime profitieren.

Am siebten Tag der Gefechte, dem 22. April, äußerte Al-Burhan gegenüber des Nachrichtensenders Al-Arabiya unmissverständlich, was er von einem demokratischen Übergang hält: seinen Posten würde er erst im Sarg verlassen. Es erweist sich also mal wieder als wahr, was die Massenbewegung und ihre Vorhut schon lange erklären. Jegliche ‚Bemühungen‘ um demokratischen Übergang und anschließende Wahlen, die vor einigen Monaten noch vorgegeben wurden, seien nichts als ein Vorwand, um die Militärjunta zu legitimieren, so Saleh Mahmoud, Beauftragter für internationale Beziehungen der SCP. Aufgrund der hohen Anzahl an durch Krieg und Genozid vertriebenen Personen, eine Zahl die nun noch weiter in die Höhe steigen wird, könnten die Anliegen des Volkes nicht in Wahlen widergespiegelt werden.
Somit bleibt weiterhin nur eine Lösung: Revolution. Die Generäle können noch so sehr versuchen sich an ihre Herrschaft zu klammern—die sudanesische Bevölkerung, allen voran die Unterdrückten, die Arbeiter:innen, die Frauen, die ethnischen Minderheiten, die Jugend, alle, die sich als Subjekte der Revolution verstehen, werden sie nicht legitimieren, werden sich kontinuierlich organisieren und mobilisieren, bis auch diese Regierung abgesetzt wird. In den letzten Tagen haben die Widerstandskomitees einen Teil dieser Aufgabe erfüllt, indem sie im gesamten Land ihre Vernetzungen nutzen und, teils über Plattformen wie Twitter, Sammelstellen für Lebensmittel, sowie medizinische Versorgung organisierten. Außerdem koordinierten sie sichere Fluchtkorridore, halfen somit bereits Tausenden der Gewalt des Militärs zu entfliehen. Sogar während des Krieges, während es an allem mangelt, was lebensnotwendig ist, besteht innerhalb der Zivilbevölkerung die Solidarität zu ihren Mitmenschen.
Die internationale Gemeinschaft schickte währenddessen Konvois, um ihre eigenen Diplomaten schnellstmöglich zu evakuieren, kooperierten dazu mit der Regierung. Soziale Gerechtigkeit wird auch im Sudan nicht durch Abkommen oder den Gang an die Wahlurne errungen werden. Die Massenbewegung muss wieder an einer Kraft
gewinnen, die nicht mit Kriegsverbrechen und imperialistischen Interessen verhandelt. Die Maxime der absoluten Kompromisslosigkeit gegenüber dem Militär muss weiter hochgehalten werden.

Als Kommunist:innen—die wir uns im imperialistischen Zentrum befinden, welches
sich ebenfalls auf die Seite des Militärs stellte—gilt es nun uns, in diesen Tagen,
solidarisch zu zeigen mit den Unterdrückten des Sudans, deren widerständige
Flamme Kriegsverbrecher, bürgerliche Parteien und Imperialisten zu erlöschen
versuchen.