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Taktiken der Polizei – Feuer und Flamme ihrer Repression!

Leipzig, erstes Juniwochenende des Jahres. In Protest gegen die Verurteilung mehrerer Antifaschist:innen zu je mehreren Jahren Haft versammeln sich Tausende Demonstrierende rund um den Stadtteil Connewitz. Bereits im Vorhinein werden anlässlich des Urteils verschiedene angemeldete Proteste von der Polizei verboten. Rund um Connewitz, praktisch in der gesamten Leipziger Innenstadt, wird von der Polizei eine Sperrzone eingerichtet. Hier gelten die Regeln des zu erprobenden Polizeistaates. Passant:innen werden verdachtsunabhängig kontrolliert und an jeder zweiten Straßenecke ist eine Streife positioniert. Die Stadt ist im Ausnahmezustand.

Am Nachmittag des 3.Juni wird schließlich eine Kundgebung gegen die Versammlungsverbote angemeldet, deren Anmeldung wie durch ein Wunder durchkommt. Die Versammlung, die von Beginn an von einem riesigen Bullenaufgebot begleitet wird, endet in einem 11-stündigen Polizeikessel, den die ganze Nacht niemand verlassen darf und der immer wieder von den Polizisten angegriffen wird.

Repression im Kapitalismus

Im Kapitalismus hat der Staat mit all seinen Institutionen in erster Linie die Aufgabe, die herrschenden Produktionsverhältnisse und damit die Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse zu schützen. Er stellt damit den sogenannten Überbau des Systems dar. Die Polizei repräsentiert den Staat als ausführende Kraft auf der Straße, und ist somit verantwortlich, aufkeimenden Protest gegen die herrschende Ordnung mit allen notwendigen Mitteln zu zerschlagen.

Sowie sich alle paar Jahre neue Protestbewegungen bilden, und wütende Massen aber auch Revolutionär:innen verschiedene Taktiken im Kampf gegen den Staat anwende, so nutzt auch der Staat sehr unterschiedliche Taktiken zur Repression des Aufstands. Einige davon wollen wir hier kurz umreißen und analysieren. Wir konzentrieren uns hierbei auf die Polizeitaktiken direkt auf bzw. am Rande von politischen Versammlungen. Andere Formen staatlicher Repression wie beispielsweise Hausdurchsuchungen oder auch Versammlungsverbote werden hier nicht in ihrer Ausführlichkeit analysiert.

Der Hamburger Kessel

Im Juni 1986 bei einer Anti-Atomkraft-Demo in Hamburg zum ersten Mal angewendet ist der Kessel eine der häufigsten und beliebtesten Taktiken der Polizei in Deutschland und anderswo auf der Welt. Das Einkesseln von Versammlungsteilnehmer:innen kann dazu dienen, eine gesamte Demonstration festzuschrauben, oder aber einen „besonders radikalen“ Teil eines Protests vom Rest abzuschneiden. Die Personen in dem Kessel können von der Polizei jederzeit willkürlich angegriffen werden. Wie häufig bei größeren Demonstrationen (beispielsweise dem 1.Mai 2022 in Berlin) werden Kessel häufig schon Stunden vorher von der Polizei vorbereitet. Ein Demonstrationszug wird dann in einen riesigen Polizeikessel hineingeführt, welcher erst dann zumacht und die Teilnehmer:innen einsperrt.

Die #WirsindalleLinx Proteste gegen die Verurteilung von Lina E. und ihren Genossen in Leipzig diesen Juni wurden ebenfalls eingekesselt. Eine kalte Nacht im Kessel, in der niemand auf die Toilette durfte, Minderjährige ihre Eltern nicht anrufen durften und der regelmäßig von Polizisten angegriffen wurde. Bei der Auflösung des Kessels wurden schließlich alle Personen erkennungsdienstlich behandelt, mussten also ihre Personalien vorzeigen. Mehrere Dutzend Menschen verbrachten noch den anschließenden Tag in Gewahrsam-Zellen. Nun wird gegen 1321 Personen wegen besonders schwerem Landfriedensbruch ermittelt.

Der Hamburger Polizeikessel dient in der Regel als Kollektivbestrafung und Einschüchterung. Je größer die eingekesselte Menschenmenge, desto mehr muss der Staat auf kollektive Bestrafung setzen. Dann wird wahllos reingeknüppelt. Bei einem kleineren Kessel ist der Spielraum der Polizei größer. Und wenn ein Teil einer Demonstration vom Rest abgeschnitten wird, dann fast immer mit dem Ziel, einen „radikalen Teil“ des ansonsten harmlosen Protests zu unterdrücken und zu delegitimieren. Das Narrativ der „guten und bösen Demonstrant:innen“ zieht sich anschließend bis in die Medienlandschaft.

Erkennungsdienstliche Maßnahmen

Protest gegen den G7-Gipfel in München, Ende Juni 2022. Neben dem Demo-Zug laufen verteilt mehrere etwa vierköpfige Polizeieinheiten, die in der Sommerhitze besonders schwitzen. Ihre Jacken sind vor Schutzpolstern und Ausrüstung so stark ausgebeult, dass sie aussehen wie schlechte Karikaturen von Polizisten. „BFE“ steht auf ihren Jacken – Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit. Sie sind eine spezialisierte Einheit für die Wiedererkennung und Festnahme von Personen auf Aktionen, aber z.B. auch für das Durchführen von Razzien. Während die Polizei in den letzten Jahren dazu übergegangen ist, jede etwas größere Demonstration von vorn bis hinten abzufilmen, dient die BFE unter anderem dazu, die Videomaterialien direkt auszuwerten, um noch auf der gleichen Aktion Personen festzunehmen.

Das Aufnehmen von Personalien durch die Polizei am Rande oder auf einer Aktion ist eine der üblichsten Formen der Repression. Auch diese Form dient in allererster Linie der Einschüchterung. „Wir haben deine Daten, wir wissen, wer du bist und wo du wohnst. Du bist auffällig.“ Die Personalien-Aufnahme kann mit einem mündlichen Platzverweis einhergehen, aber auch mit der Androhung weiterer Repression. Nicht selten werden hierbei direkt Anzeigen erstattet, wie z.B. in Leipzig wegen angeblichem Landfriedensbruch. Manche dieser Anzeigen dienen wiederum der Einschüchterung oder die Verfahren werden im Laufe der Zeit eingestellt. So manch ein Strafbrief kommt aber auch gut und gern ein Dreivierteljahr später, wenn nicht mehr damit gerechnet wird. Im schlimmsten Fall kann es sogar Monate im Nachhinein noch zu Hausdurchsuchungen bei Personen kommen, die am Rande einer Aktion erkennungsdienstlich behandelt wurden.

Angst schüren durch rohe Gewalt

Anfang des Jahres sind in Frankreich anlässlich einer geplanten Anhebung des Rentenalters Streiks ausgebrochen. Die Proteste erfassten nach wenigen Tagen das ganze Land und entwickelten sich zu Generalstreiks. Arbeiter:innen, Migrant:innen und Jugendliche demonstrieren seitdem fast täglich gegen die neoliberale Politik der Macron-Regierung und inzwischen auch verstärkt gegen die massive Polizeigewalt. Nach dem Mord an Nael, einem schwarzen Jugendlichen vor einigen Wochen, kommt es fast jede Nacht zu militanten Protesten, vor allem von migrantischen Jugendlichen aus den urbanen Vororten, z.B. den Pariser Banlieues.

Der französische Staat hat die Massenproteste von Beginn an mit roher Gewalt beantwortet. Während von der Streikbewegung nicht allzu viel in Deutschland angekommen ist, so hat sich zumindest die deutsche Polizei einiges abgeschaut von ihren französischen Kollegen. So konnten wir wiederum bei den Lina E.-Protesten in Leipzig besonders eine Polizeitaktik beobachten, die seit Februar in Frankreich angewendet wird. Eine Wand von Hunderten Polizisten stellt sich in voller Breite in einiger Entfernung zur demonstrierenden Masse auf. Kommt der Befehl, so rennt die behelmte Masse, die Schlagstöcke im Anschlag, mit einem Mal auf die Versammlung zu. In einer Videoaufnahme aus Connewitz ist zu hören, wie die Polizisten hierbei wie aus einer Kehle brüllen.

Wir haben es hier mit einer Taktik zu tun, die einzig und allein der kollektiven Abschreckung dient. Die staatliche Repression trifft nicht mehr Einzelne, mit dem Ziel sie zu vereinzeln und aus ihrem Kollektiv zu reißen, sondern die ganze Masse von Personen. Auf alles, was sich bewegt wird eingeprügelt.

Insgesamt haben wir es mit einer Qualität der Gewalt zu tun, wie sie die meisten von uns, die vielleicht erst seit Kurzem politisch aktiv sind, so nicht kennen. In Zeiten der Krise und der Zuspitzung der imperialistischen Kriegsherde auf der Welt findet in den Zentren des Militarismus wie Deutschland auch eine Aufrüstung nach innen statt. Hinter den unzähligen Taktiken des Staates, um politischen Protest niederzudrücken, stehen auch immer staatliche Strategien. In letzter Konsequenz dienen diese immer dem Schutz der herrschenden Ordnung, also der Klassengesellschaft und der bürgerlichen Herrschaft.

Was muss also unser Umgang mit der Repression sein, mit der Gewalt, die unsere Körper und unsere Psyche treffen soll? Für uns ist wichtig: Wir sind nicht allein. Weder lassen wir uns vom Staat spalten noch in unserer Aktivität einschüchtern. Wir wissen, dass ihre Repression dazu dient, uns kleinzumachen und zu unterdrücken. Die Gewalt und Repression trifft uns als Arbeiter:innen, als Migrant:innen, als Frauen, Jugendliche und LGBTI+. Wir sollen uns 40 Jahre lang klaglos ausbeuten lassen oder ein ruhiges, bürgerliches Leben führen, aber auf keinen Fall mucken, laut oder ungemütlich werden.

Indem wir uns organisieren, stellen wir der ausbeuterischen Ordnung den kollektiven Widerstand und den Kampf für eine gerechte, sozialistische Gesellschaft entgegen. Im Kampf gegen ihre Repression bedeutet das vor allem, dass wir ihnen die wichtigste Grundlage für ihren Unterdrückungsapparat nehmen: Sie können uns herausziehen, festnehmen und einknasten, aber allein sind wir nie.

Wir stehen zusammen gegen ihre Repression, ob in Leipzig, Paris, Istanbul, Palästina oder anderswo auf der Welt!