Für das Schreiben dieses Textes haben sich gleich zwei Individuen abgesprochen – sie haben sich organisiert, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen: eine kurze Antwort auf die Frage im Titel geben.
Vielleicht liest du zum ersten Mal einen Artikel von Young Struggle und warst bis jetzt noch nicht politisch aktiv. Vielleicht bist du irritiert, sogar verunsichert, von Organisationsfahnen auf Demonstrationen. Oder vielleicht denkst du dir nach Jahren des politischen Aktivismus: „Naja, ist doch logisch! Ich bin nicht der einzige Mensch auf der Welt, wie soll ich sie dann im Alleingang verändern?!“
Individuum:
Das kommt aus dem Lateinischen, sagt das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache. „Indīviduus“bedeutet ‚ungetrennt bleibend, ungeteilt, unzertrennt, unteilbar‘, darin steckt auch das Wort „dīvidere“, was soviel heißt wie ‚ein Ganzes in Teile zerlegen‘. Zu diesem Wortursprung zu blicken zeigt für mich zwei Sachen: erstens, dass ich das Recht habe, als ganzheitlicher Mensch ernst genommen, ohne auf „Einzelteile“ reduziert zu werden. Und zweitens, dass meine Existenz untrennbar, un-dividierbar verbunden ist mit meiner Umwelt. Marx sagt dazu: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“
Dadurch, dass wir alle in kapitalistischen Staaten aufwachsen, wird uns Egoismus und das Streben nach möglichst „individuell“ sein anerzogen: Promis werden uns auf Silbertabletts präsentiert und mit Geld und Freiheiten überströmt. Werbung will uns an allen Straßenecken wortwörtlich verkaufen, wie ich alleine mein Leben besser machen kann (oder muss). Jeder einzelne Haushalt muss sich selbst versorgen, die Mehrheit der (weiblichen) Arbeiter:innen versorgt sogar gleich mehrere – den ihrer eigenen Familie und den von wohlhabenderen oder reichen Familien. Bildungs- und Freizeitangebote sind vorrangig Menschen mit Kapital voll zugänglich. Und die Liste könnte ewig weiter fortgeführt werden.
Wenn Marx von „Sein“ spricht, dann meint er damit – grob zusammengefasst – eine Struktur, eine Grundlage, bestimmte Abläufe und Muster von Prozessen, auf denen die Gesellschaft ihr Zusammenleben organisiert: die Art, wie wir Produkte und Dienstleistungen herstellen, wie wir wirtschaften, auf welchem Stand unsere Technologien und unsere Forschung sind. Darauf erbaut sich, wie wir Beziehungen miteinander führen, was Kindern und Jugendlichen beigebracht wird, welche Gesetze in den Gesetzbüchern stehen, wer Entscheidungen treffen darf, wessen Interessen am wichtigsten sind, wessen Leben am meisten zählt…
Diese Basis der Gesellschaft wollen Kommunist:innen an der Wurzel ausreißen und etwas Neues wachsen lassen: den Sozialismus. Damit soll ein System geschaffen werden, indem Arbeit nicht daraus besteht, wenigen Kapitalist:innen Geld in die Tasche zu schaufeln und eine Mehrheit der Arbeiter:innen und Natur darunter zu leiden haben. Mit dieser neuen gesellschaftlichen Basis wollen wir einen Nährboden schaffen, um als Menschheit ein neues Zusammenleben zu lernen: ein Solidarisches, eins, was Unterdrückung immer weiter abbaut. Der Sozialismus soll die Schule für den Kommunismus sein, eine staatenlose Gesellschaft.
Aber wie erreicht man das? Ist ein organisierter Kampf eine Notwendigkeit? Kann man nicht einfach kämpfen, ohne sich zu organisieren?
Wenn wir uns die Geschichte der Klassenkämpfe anschauen, ist bewiesen, dass dies nicht möglich ist. Die Machno-Bewegung (Machnowschtschina), die zwischen 1917-1921 in der Ukraine entstand, kann ein gutes Beispiel dafür sein. Diese Bewegung, die als Beispiel für „Anarchismus an der Macht“ gilt, hatte für sich die Rolle beansprucht, „die Freiheit der Arbeiter:innen und Bäuer:innen vor Parteien, revolutionären Komitees und solchen zwanghaften autoritären Institutionen und Organisierungen zu schützen“. Die Tatsache, dass diese „Revolution“, die auf dem Papier jede Art von Autorität und Organisierung ablehnte, in der Praxis ihre eigene Autorität geschaffen hatte, hatte gezeigt, dass jedes anarchistische Konzept, das beansprucht, „die Unorganisation zu organisieren“, in revolutionären Zeiten scheitern wird. Diese „libertären“ Diskurse der Machnowist:innen entsprachen nicht der Realität. Die Rote Armee wurde verboten, aber sie hatten noch ihre Schwarze Armee. Die bolschewistische Partei war verboten, aber in den von ihr kontrollierten Gebieten lag die Macht in den Händen ihrer eigenen anarschistischen Organisation. Die Tscheka wurde ebenfalls verboten, aber eine Geheimdienstorganisation namens „Gegenintelligenz“ wurde von Machno gegründet. Die kalte Realität des Klassenkampfes und der revolutionären Umbruchphase zwang eine „antiautoritäre“, „gegen jede Art von Organisierung“ gerichtete Bewegung dazu, ihre eigenen Autoritätsorgane und politischen Strukturen zu schaffen.
Kommen wir zu einem näheren Zeitpunkt. Am 17. September 2011 begann eine Gruppe namens „Occupy Wall Street“, die aus überwiegend weißen Jugendlichen der Mittelklasse bestand, einen lockeren Protest in den Finanzvierteln von New York. Diese Gruppe, die das Ziel hatte, im Zucotti Park in der Nähe der Wall Street zu campen, hat eigentlich den Grundstein für die Occupy-Bewegung gelegt, zumindest im Westen, und diese Bewegung breitete sich bald auf die anderen Städte der USA und auf Europa aus. Diese Bewegung, die ihre Kraft aus dem Misstrauen gegenüber dem kapitalistischen System schöpfte, erreichte die Menschen, die in Armut, Arbeitslosigkeit und Zukunftslosigkeit versanken, und kanalisierte die Wut der Massen, wenn auch nicht genug, denn sie richtete sich nicht auch gegen den imperialistischen Staat selbst, zu Recht gegen die Wall Street. Doch trotz dieser massenhaften Kraft und des auf die richtige Richtung ausgerichteten Ziels, teilte diese Bewegung das gleiche Schicksal mit den anderen Aufständen des 21. Jahrhunderts. Sie hat sich von selbst entwickelt und ist von selbst ausgeblasen. Dies hatte mehrere Grundfaktoren, aber einer der hervorstechenden Gründe ist die Tendenz zur Unorganisierung, verursacht durch postmoderne und anarchistische/autonomistische Denkweisen. Nicht nur eine zentrale Organisierung wurde abgelehnt, sondern auch eine effektive lokale Organisation, die unbedingt notwendig war. Zum Beispiel die Diskussionen darüber, wie die Entscheidungen getroffen werden (konsensual oder mit Stimmenmehrheit), ob die privaten, Mainstream-Medien zugelassen werden sollen, ob ein einheitliches Ziel entwickelt werden kann und/oder wie dieses aussehen wird, eine unglaubliche Energie- und Zeitverschwendung verursacht. Ein Mangel an Organisation, um die Menschen mit einem Ziel und/oder untereinander zu verbinden, hatte die Bewegung geschwächt und dazu geführt, dass sie zurecht als „eine Gruppe von Personen, die politisch voneinander unabhängig sind“ bezeichnet wurde.

Occupy-Bewegung, Gezi, Gelbe Westen:
Das Schicksal dieser sich selbst entwickelnden Aufstände und Bewegungen entscheidet sich am Grad der Organisiertheit und der Ernsthaftigkeit ihrer Ziele, bzw. wie ernst sie auf die Macht gerichtet sind. Das 21. Jahrhundert wird weiterhin das Zeitalter der Aufstände sein. Und in den Zeiten, in denen die postmodernen Strömungen unter den Linken und der revolutionären Bewegung so verbreitet sind, wird diese Welle der Aufstände weiterhin „selbst“ gegen die Mauern des kapitalistischen Systems stoßen und sich von ihm „selbst“ zurückziehen. Die dynamische Kraft des revolutionären Kampfes, die Jugend, und ihre Vorhut, die kommunistische Jugend, hat heute die Aufgabe, sich nicht von diesen Bewegungen zurückhalten zu lassen, die ideologischen, praktischen und organisatorischen Fehler der Bewegung, wie den anarchistischen Individualismus und andere Typen postmoderner Einflüsse, aufzuspüren und zu korrigieren, die Organisierung und Perspektive der Machtübernahme einzutragen und eine führende Rolle zu spielen. Wir können das schaffen, die Geschichte zeigt uns, dass die Jugend den Weg für gesellschaftliche Umbrüche freimacht. Diejenigen, die den Weg zum Untergang der Junta in Griechenland eröffneten, waren die organisiertenStudent:innen, die das Athener Polytechnikum besetzten. Diejenigen, die den Diktator Suharto in Indonesien stürzten, waren die die Jugend mit Machtperspektive. Diejenigen, die jede einzelne revolutionäre Bewegung in der Türkei ins Leben gerufen haben, waren die Jugendlichen, die organisiert waren und das Ziel hatten, die Macht zu übernehmen.
Die Zukunft liegt in unserer Hand. Die Zukunft ist die Jugend. Die Zukunft ist der Sozialismus!