(Der folgende Text ist vom Niveau etwas höher, seit daher nicht frustriert wenn ihr nicht alles sofort versteht. Wir raten euch ihn mehrmals zu lesen, und gegebenenfalls uns zu kontaktieren, falls ihr noch Fragen habt.)
Die Rojava-Revolution, die Oktober-Revolution und alle Revolutionären Siege, die Teil unserer kommunistischen Geschichte sind, wurden unter der Führung einer Avantgarde gewonnen.
Lasst uns das Thema Avantgarde ein wenig vertiefen. Die Avantgard-partei ist die führende Kampfkraft der Arbeiter:innen und Unterdrückten. Sie steht an der Spitze aller Kämpfe, aller Forderungen und Bestrebungen der Arbeiter:innenklasse, der städtischen und ländlichen Armen, der Frauen und Jugendlichen, der Migrant:innen und jeder anderen unterdrückten, religiösen und sexuellen Identitäten.
Die Aufgabe der kommunistischen Avantgarde ist es, all diese Kämpfe unter dem Banner des Sozialismus zu erweitern, zu verbinden und zu verallgemeinern. Mit politischer Weitsicht, ideologischer Analyse und vielfältigen Formen der direkten Intervention, mit revolutionärer Entschlossenheit und Opferbereitschaft muss sie in jedem politischen Kampf die vordersten Plätze einnehmen.
Aus dieser Perspektive ist das Gerede über Avantgarde von denen, die in der wirklichen Führung unerprobt sind, nur Geschwätz – der Titel kann nur im Feuer des revolutionären Kampfes geschmiedet werden.
Als grundlegendes Merkmal der Partei muss der Stil der Vorhut in jeder Form des Denkens und Handelns zum Ausdruck kommen. Er ist notwendig für die Verwirklichung des kämpferischen Potentials in den Herzen der Massen und muss die Massen als Zentrum der politischen Aufmerksamkeit in den Vordergrund stellen.
Sehen wir uns einige Beispiele von Revolutionären Führungskräften an. In der Geschichte der von Avantgarde-Parteien, wie die ESP (deutsch: Sozialistische Partei der Unterdrückten, Kurdistan, Türkei) finden wir viele leuchtende Beispiele für die Avantgard-Führung: Kampagnen gegen Entführungen von Revolutionär:innen, Hungerstreiks, Frauenkongresse gegen sexuelle Übergriffe in der Haft, Märsche gegen Sklavenarbeitsgesetze und die Kampagne der Jugend (SGDF) zum Wiederaufbau von der vom IS zerstörten Stadt Kobanê’s. Der Erfolg dieser Kampagnen zeigte sich in der entscheidenden Rolle, die sie bei der Positionierung der Massen in den Schützengräben des Volkskampfes spielten.
Natürlich unterscheiden sich die einzelnen Forderungen und Formen des organisierten Kampfes von Fall zu Fall, doch der Stil der Avantgarde ist ihnen allen gemeinsam. Das Merkmal der Avantgarde selbst entsteht, reift und wird in jedem Moment des aktiven Kampfes ständig verstärkt und reproduziert.
Auf dem Titelbild dieses Artikels ist eine Genossin der SGDF, der Sozialistischen Jugenorganisation in Kurdistan/ Türkei, zu sehen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels befindet sie sich in Haft. Es ist eine alte Taktik der herrschenden, die politische Führung von den rebellischen Massen abzutrennen, sobald diese gefährlich für den Staat werden. Bei den Boğaziçi-Universitätsprotesten in der Türkei 2021 stand die SGDF an der Spitze der Jugendmassen auf den Straßen. Die SGDF Mitglieder waren es, die als erstes systematisch verhaftet wurden, um den Massen ihre Führung zu nehmen. Selbst der kapitalistische Staat muss die Macht und Effektivität der Avantgarde erkennen und dementsprechend bekämpfen.
Die Avantgarde muss ihrer Verantwortung gerecht werden
Die Praxis der Avantgarde im aktuellen politischen Kampf unterliegt zwei Hauptanliegen:
1. darf die Avantgarde nicht zu einem Selbstzweck werden. Wenn sie von dem Ziel losgelöst wird, die Arbeiter physisch und politisch anzusprechen, ihnen Hoffnung und Entschlossenheit zu geben, oder wenn sie nicht auf Situation mit geeignete Antworten und Aktionen reagiert, verliert die politische Arbeit ihren avantgardistischen Charakter. Diese Schwäche zeigt sich am deutlichsten, wenn die politischen Aktionen einer Organisation, die sich auf ihre eigenen vorhandenen Kräfte stützt, von der Massenarbeit abgekoppelt ist. Einige wenige Militante, die Straßenproteste zu einem bestimmten Thema veranstalten, es aber regelmäßig versäumen, die Massen nach der Formel Agitation-Aktion-Organisation zu mobilisieren, gelten aus Sicht der Avantgardeführung als gescheitert.
2.Das Problem besteht darin, dass sich die Avantgarde allzu oft auf ein kleines Spektrum von Aktivitäten und Formen beschränkt. Eine Pressemitteilung zum Beispiel, die unter den richtigen Umständen gemacht wird, ist eine vollkommen gültige Sache. Aber wenn sie ohne besondere Überlegung auf jede politische Agenda angewandt wird, wenn sie nicht sorgfältig vorbereitet oder zielgerichtet ist, wenn sie als Teil einer Teufelskreis-Methodik oder einfach als das Erste, was einem in den Sinn kommt, eingesetzt wird, können solche sich wiederholenden Taktiken kaum als bahnbrechende Durchbrüche im Klassenkampf angesehen werden. Statt einer breiten und vielfältigen Palette politischer Aktionen verlieren hier revolutionäre Willenskraft und Kreativität an Boden gegenüber uninspiriertem Denken und Bequemlichkeit. Der Avantgardecharakter geht wieder verloren.
Die oben genannten Ansätze sind nicht nur ineffektiv, sondern machen die revolutionäre Tätigkeit auch geistig anstrengend. Echter Avantgardismus erschöpft nicht, sondern spendet Energie. Jede Aktion, die auf einer soliden Vorbereitung und revolutionären Zielsetzung beruht, die in Koordination mit der Massenarbeit durchgeführt wird und die die brennenden Forderungen der Unterdrückten wirklich verstärkt, stellt einen Schritt vorwärts im Prozess der Entwicklung und Entfachens des vereinigten antifaschistischen Widerstands dar.
Unter den heutigen Bedingungen, in denen der kapitalistische Staat die Repression und den Gegenangriffe ständig verschärft, in denen sich die aufgestaute Wut der arbeitenden und unterdrückten Massen schließlich in organisiertem gewaltsamen Widerstand nach außen wenden könnte, muss der Weg zur Freiheit mehr denn je klar beleuchtet werden. Es ist daher eine absolute revolutionäre Notwendigkeit, den Avantgarde-Stil beizubehalten, zu stärken und mit allen Formen der Massenarbeit zu verbinden.
Dieser Text basiert auf einem Artikel von Atilim. Atilim ist eine türkischsprachige Zeitung, die in der Türkei, Nord-Kurdistan und in Europa verbreitet ist. Sie bietet Nachrichten und Meinungen aus einer linken Perspektive zu Ereignissen, aktuellen Themen und Politik in der Türkei und der ganzen Welt. Der Artikel wurde in Absprache verändert und ist keine Original-Übersetzung.
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